Zweifel
Wer über jeden Zweifel erhaben ist, den sollte man anzweifeln.
Die Zeit ist reif für ein Hoch auf den Zweifel. Wo sich Vieles aufzulösen scheint, Sicherheiten bröseln, Fragwürdigkeiten die Runde machen und Gewissheiten wanken, da kommt der Zweifel ins Spiel. Auch, wenn der es in einer Welt, die Antworten will und keine Fragen, nicht leicht hat.
Doch lassen wir die Zweifel mal zu. Fragen wir uns, was es damit auf sich hat. Und fangen wir also mal wieder mit dem Wort selber an. Schnell erkennbar wird, dass da irgendwas Doppeltes drin steckt, zwei Seiten. Wir denken an Zwiespältigkeit, an das Zwiegespräch. Auf jeden Fall etwas, das nicht eindeutig ist, nicht nur eine Antwort kennt.
Schade eigentlich, die hätte man doch so gerne.
Vergessen wir es. Einfach war noch nie. Und wir sollten die anzweifeln, die das Gegenteil behaupten, uns einfache Lösungen unterjubeln wollen. Das klingt vielleicht erst mal beruhigend, allerdings führt eine dauerhafte Ruhe zu Stillstand, zu einer Enge, aus dem man ganz schnell wieder ausbrechen möchte.
Denken wir es doch mal anders und zwar frei.
Der Zweifel, dieses Schwanken von der einen Überlegung zur anderen, hat durchaus etwas für sich. Während die eine Lösung ohne Alternative ziemlich langweilig sein kann, das Ergebnis markiert und eben keine Fragen offen lässt, so ist der Zweifel eine Suchaktion im freien Feld. Die hat nicht nur Ostern Hochkonjunktur und macht allen Beteiligten in der Regel Spaß. Selbst wenn mal ein Ei in den Sträuchern verborgen bleibt, nie gefunden wird und im Laufe der Zeit vergammelt, so machen die, die es in den Korb geschafft haben, richtig Freude. Alles geht eben nur, wenn alles offen liegt. Dann aber ist es sehr öde.
Der Zweifel also fordert heraus. Man will nicht im Ungewissen bleiben, sucht sich Möglichkeiten, um Ideen, Antworten, das Gute und Schöne zu finden. Zweifel wecken die Entdeckerfreude.
Damit einher geht in den meisten Fällen ein Aufbruch. Man sucht sich andere, die auch Fragen haben, die bestehende Umstände klären möchten, die etwas verändern wollen, weil ein zweifelhafter Zustand auf Dauer nicht tragbar ist.
Allzuoft führt eine solche Suche nicht zu dem einen Ergebnis, schon mal gar nicht schnell. Meist beginnt mit dem Zweifel eine lange Prozedur, die vielleicht ein paar Trippelschrittchen voran bringt, nur um einen dann wieder zurückzuwerfen. Es handelt sich bei diesem Weg nicht um einen gerade angelegten und sicher gepflasterten. Oft genug folgen auf den Ausgangszweifel weitere, bis dahin unbekannte, die das Dickicht noch undurchsichtiger machen. Ein Zweifel bleibt selten allein.
Wer sich davon aber nicht einwickeln lässt, wer daraus ein Vergnügen machen kann, das darin besteht, immer mehr von der Welt zu entdecken und immer mehr kennenzulernen, dieser Mensch erhebt den Zweifel zu einem guten Begleiter, der aus jedem Tag Ostern machen kann. Dann mal rein ins Vergnügen.