Zärtlichkeit
Es gibt eine Menge Zärtlichkeit um uns herum. So können wir beispielsweise die „zarteste Versuchung“ im Supermarkt finden, in einer Parfümerie kommt die Zärtlichkeit mit einem Duft, in der Drogerie gibt es ein starkes Deo, das zart ist zur Haut, und aus Wolle kann man was Zärtliches machen.
Die Konsumwelt stellt uns eine Menge solcher Gefühle zum Kauf bereit. Überall riecht es danach und schmeichelt unserem Gaumen.
Soll es das gewesen sein? Was ist mit Zärtlichkeit, die es umsonst gibt? Die zwischen Menschen ausgetauscht wird? Die Zuneigung und Liebe und Glück bedeutet?
Es wurde schon versucht, mehr davon in den Alltag zu bringen. „Free Hugs“ waren ein Trend, Zärtlichkeit in eine Welt zu bringen, die vor lauter Hektik und Anstrengung das Naheliegendste vergessen zu haben scheint. Wir brauchen Nähe, Zugewandtheit, Berührungen. Kein zwangsweises Zusammenrücken, keine Schmeicheleien ohne Wert und keine Rempeleien, sondern sensuelle Erfahrung, die uns unser Menschsein spürbar macht.
Wenn alles auf Effizienz, auf Funktionstüchtigkeit, auf Berechenbarkeit getrimmt wird, Daten und Richtlinien die Hohheit übernehmen, das freie, kreative Denken, Sinnen und Tun dagegen immer weiter zurückgedrängt wird, dann bleibt ein ziemlich trübes Dasein zurück.
Ist in Deutschland von Zärtlichkeit die Rede, dann ist damit im Wesentlichen ein Gefühl gegenüber Babies und Kleinkindern gemeint, vielleicht noch die unreife Verliebtheit von Teenagern oder ein Verhalten gegenüber kleinen süßen Tieren. Im Erwachsenenalter hat diese Art des Fühlens keinen Platz mehr. Menschen, die Zärtlichkeiten austauschen, führen eher zu peinlicher Berührtheit denn zu froher Gerührtheit.
Wie schade ist das eigentlich?
Wir sprechen von Freundschaft (110 Mio. Einträge in Google), von Liebe (480 Mio. Einträge in Google), von Sex (9,79 Mrd. Einträge in Google).
Aber Zärtlichkeit (3,87 Mio. Einträge in Google)?
Offenbar kommt sie zu selten vor. Ganz bestimmt sogar.
Und wie ändern wir das? Vielleicht, indem wir gleich damit anfangen und jemandem, der uns am Herzen liegt, eine zärtliche Geste entgegenbringen. Vielleicht, indem wir „free hugs“ aus der Versenkung holen. Vielleicht, indem wir uns einfach mal mehr über unser Menschsein Gedanken machen. Das wäre Klugheit gepaart mit dem Zulassen der eigenen zarten Seite.
Ganz schön verwegen.