Wohlstand
Bei diesem Wort wird einem gleich wohlig ums Herz. Und ein bisschen ängstlich vielleicht auch?
Auf der einen Seite fühlen sich die Meisten in den immer noch „Industrieländer“ bezeichneten Teilen der Welt wohl mit all dem, was sie haben. Nicht nur die eigene Existenz – Nahrung, Kleidung, Unterkunft – ist gesichert, darüber hinaus gibt es noch so viele Dinge mehr, die uns das Leben angenehm machen.
Komfort allerorten – von der gesichert wohlig warmen Wohnung über das wohltemperierte Badewasser bis hin zum kuschelig-edlen Wollpulli und der fernen Weltreise – alles da, alles möglich.
Weil es Wachstum gibt. Umkehrschluss: Kein Wachstum, kein Wohlsein, keine Wohligkeit. Irgendwie ist in dieser Gleichung eine Variable vergessen worden, die Rechnung geht nicht auf.
Wohlstand ist nach dieser Methode immer unmittelbar mit Wachstum verknüpft. Oder eben anders gesagt: Ohne Wachstum kein Wohlstand. Hier wiederum ist mit Wachstum Wirtschaftswachstum gemeint und geht von der Voraussetzung aus, dass es von allem immer mehr geben muss. Und das immer und überall verfügbar. Für jede und jeden.
Doch dieser Automatismus funktioniert nicht. Und wenn wir klar sehen bzw. mal die Perspektive wechseln – den Industrieland-Blick gegen die Aussichten der meisten Länder des globalen Südens – dann ist ganz schnell klar: Der hat noch nie funktioniert. Beziehungsweise immer nur für den kleinsten Teil der Menschheit auf diesem Planeten.
Wachstum ohne Ende – und schon seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wissen wir, dass es ein solches nicht gibt („Grenzen des Wachstums“) – ist für alle ca. 8 Milliarden Menschen auf dieser Welt nicht erreichbar. Wenn ein Teil der Menschheit für sich ein „Immer-mehr“ einfordert, bedeutet das für den anderen (größeren) Teil der Menschheit: weniger: Weniger Sicherheit, weniger Nahrung, weniger Freiheit. Das Mehr drückt sich dort eher in Katastrophen, in Armut, in Kriegen, in gesundheitlichen Krisen aus.
Klar ist unter den Umständen, die wir geschaffen haben: Wohlstand bleibt für die Meisten eine Illusion.
Auch wenn eine Umdefinition von Begriffen noch nie geholfen hat, ein Problem aus der Welt zu schaffen, eine Neujustierung hin zu einer geänderten Wahrnehmung, die könnte durchaus ein Anfang sein, Wohlstand für die Menschen zu schaffen.
Es geht nicht mehr um eine Globalisierung wie ihn die weltweit mächtig agierende Finanz- und Wirtschaftswelt anstrebt, es geht um mehr globale Verantwortung jeder und jedes Einzelnen und aller Institutionen, die unser gesellschaftliches Leben in grundlegendem Maße prägen.
Wohlstand muss als das aufgefasst werden, was der Begriff im Kern meint: Es geht darum, einen Bestand zu pflegen und zu entwickeln, zum Wohle aller, die von diesem leben wollen. Und sich in diesem Umfeld wohl zu fühlen – miteinander, füreinander, mit Klugheit und dem Bestreben, die menschliche Evolution zum Wohle aller voranzubringen.