Wirtschaft
„Nicht alles ist Wirtschaft, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.“ Was für eine krause Logik. Und nur dadurch, dass diese industriekapitalistische Behauptung immer wieder breitbeinig behauptet wird, wird der Satz nicht wahrer.
Aus der gleichen Ecke kommen andere Kalendersprüche wie „Man kann nicht nur von Luft und Liebe leben“ oder „Man muss arbeiten, um sich seine Brötchen zu verdienen“ oder auch „Geld regiert die Welt“.
Dröseln wir das Ganze doch mal auseinander. Zunächst gilt es, den Irrtum aufzulösen, Wirtschaft (gerne mit dem Artikel des Allgemeingültigkeitsanspruchs “DIE” verbunden), Unternehmen, unternehmerisches Handeln, Firmen, Konzerne, Branchen, Finanzwelt, Markt, Konsum, Arbeitsmarkt usw. seien untrennbar miteinander verbunden. Aus der Gesamtheit ökonomischer Theorie ließen sich noch eine Menge mehr Begriffe hinzufügen. Wer kennt sie nicht: Die Tauschwirtschaft, noch schöner: Die Schankwirtschaft. Prost.
Allein anhand dieser Auflistung lässt sich allerdings unschwer erkennen: DIE Wirtschaft gibt es nicht, genausowenig wie DIE Bedeutung der Wirtschaft für Wachstum.
Womit wir beim nächsten Begriff wären, der gerne als selig machende Begründung für die Bedeutung der Wirtschaft ins Feld geführt wird: Wachstum.
Wachstum, so wird postuliert, brauchen wir nicht nur, es ist die Grundlage gleich des gesamten Lebens. Man erinnere sich (s.o.): „Ohne Wirtschaft ist alles nichts“.
Wenn wir aus diesem vermeintlichen Logik-Konstrukt mal ein paar Stellschrauben lockern oder ganz rausnehmen bzw. neue einsetzen, dann wird der Irrtum dieses Ansatzes allerdings bald klar. Denn wohin hat uns diese Behauptung geführt? Wer hat sie überhaupt in die Welt gesetzt? Waren da möglicherweise bestimmte Interessen im Spiel? Und haben sich diese Interessen vielleicht geändert bzw. sind neue entstanden? Haben die möglicherweise sogar eine höhere Relevanz, um „alles“ wieder ins Lot bringen zu können?
Klar. Kaum geht man von der Einfachheit der Kalendersprüche weg, wird es kompliziert. Wie halt die Tage auch nicht verlaufen nach dem Motto „Es ist schon immer gut gegangen“ (in welchem Dialekt auch immer vorgebracht).
Wir leben heute in einer Welt, in der klar ist, dass die Ressourcen der Erde, derer wir uns im 20. Jahrhundert rücksichtslos bedient haben und die der industriell geprägten Wirtschaft scheinbar unendliches Wachstum sicherten, am Limit sind. Und bereits lange darüber hinaus. Wir erinnern uns ein weiteres Mal, an den Bericht des Club of Rome 1972: „Grenzen des Wachstums“.
Das Ergebnis dieses Wachstums wurde übrigens – kleine Randbemerkung – weder in den Industrie-Ländern noch auf der Welt gerecht verteilt; nicht im Guten, nicht im Schlechten. Den Gewinn hat eine Minderheit, den Schaden die Mehrheit der Menschen auf dem Planeten.
Nun sind wir im 21. Jahrhundert. Die Industrie des vergangenen Jahrhunderts wird nun abgelöst durch Wirtschaftsleistungen, die sich aus völlig neuen Geschäftsmodellen ergeben. Die wiederum erfordern andere Kompetenzen, andere zeitliche Abläufe und andere Organisationsformen. Erkennbar dabei: Diese Entwicklungen produzieren weiter und teilweise noch schlimmer rückwärtsgewandt patriarchalische Strukturen, die in jeder Hinsicht für das Zusammenleben und für das Leben überhaupt toxisch sind.
Das alles kann mittlerweile immer weniger zusammengehalten werden durch das, was DIE Wirtschaft so fordert: Subventionen, eigene Infrastrukturen, Vergünstigungen, Sonderregeln.
Ebensowenig können diese Erwartungen der Wirtschaft unter dem zunehmendem multiplen Druck noch weiter bedient werden: Keine Eingriffe durch den Staat, möglichst unbegrenzte Entscheidungsfreiheiten und vielleicht auch noch Nutzung einer Forschung, die ihr zugute kommt, für die man aber nicht zahlen muss.
Man versucht es natürlich dennoch weiter und hat dazu eine besonders unternehmerische Leistung kultiviert: Den Lobbyismus.
Mit solchen Entwicklungen, die nur höchst rudimentär beschrieben sein können (hier handelt es sich nicht um Wissenschaft, sondern um Impulse), haben wir uns in einen Zustand hineinmanövriert, der am Ende ist.
Denn das, was wir als demokratische, freiheitlich verfasste Grundordnung verstehen, von der die Wirtschaft so lange Jahre munter profitieren konnte, ist an einen kritischen Punkt angelangt. Daran haben diejenigen, die im Wirtschaftskontext Verantwortung tragen, keinen geringen Anteil.
Umso mehr sollte genau dieser Bestandteil des Konstrukts aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft - gemeint ist also hier letzterer - dieser Verantwortung auch aktiv gerecht werden und das „Alles“ ernst nehmen. Oder sich mal angemessen vornehm zurückziehen und andere Player, die für die Allgemeinheit wirklich etwas unternehmen wollen, ans Ruder lassen.
Denn da sind: gesellschaftliche Akteur:innen, politische Neudenker:innen, unternehmerisch Handelnde, die sich nicht als das Absolute und Besserwisser gerieren, sondern nach Lösungen für die Aufgaben suchen, die nicht singulär bestimmte Interessen sichern, sondern das Wohl einer Menschheit im Blick haben, ohne die alles nichts ist.