Wert

Sie kommen in mannigfacher Form vor. Kunstwerke, Aktien, Geldscheine, Besitz, ja selbst Arbeitskräfte, Veranstaltungen, Politikerinnen, Wohngegenden – all das und noch Vieles mehr hat einen Wert. Oder anders: all dem wird ein Wert zugeschrieben. Wie der wiederum zustande kommt, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen.

Manchmal wird behauptet, es sei der Markt, der diese Werte bestimme, manchmal ist es eine komplizierte Rechnung und manchmal auch einfach „nur“ ein Gefühl, über das der Wert einer Sache, einer Person, eines Zustands festgelegt wird.

Und das ist noch die einfache Rubrik. Schwieriger wird es, wenn man von den „hard factors“ zu der soften Variante wechselt.

Auch hier (vielleicht sogar noch mehr) haben Werte Hochkonjunktur. Kein Unternehmen, keine Organisation, keine mehr oder weniger prominente Person kommt heutzutage ohne aus. Von Achtsamkeit bis Zuverlässigkeit ist alles dabei.

Nun könnte man ja sagen: prima, Werte sind doch eine großartige Errungenschaft. Drüber können wir unser Miteinander gestalten, uns einigen, uns auf eine besondere Stufe heben.

Allerdings hat diese mittlerweile inflationäre Ver-Wertung ihre Schattenseiten. Denn es ist nicht damit getan, sich einen Wert anzuheften und schon ist man ein besserer Mensch, eine bessere Organisation. 

Selbst wenn im vorhinein über intensive Workshops, über Coaching-Methoden oder andere Formen der Auseinandersetzung darüber debattiert wurde, welche Werte man sich denn geben wolle, so steckt allein in diesem Vorgehen schon die Crux: Kann man sich Werte geben? Kann man sie gar verordnen? Kann man das, was damit gemeint ist, vereinbaren?

Nehmen wir mal Ehrlichkeit. Oder - darf in keinem Wertekatalog fehlen - Respekt. Schöne Eigenschaften, die das Leben miteinander leichter und sicherlich auch schöner machen. Wohl kaum jemand, die oder der sagen würde: „Auf keinen Fall! Ehrlichkeit und Respekt - wo kommen wir denn da hin? Ist ja abscheulich. Kommt mir nicht ins Haus!“

Niemand würde offen bekunden, dass man es damit nicht so habe und viel lieber unehrlich agieren und andere respektlos behandeln wolle.

Damit kommen wir zu einem Exkurs und einem eng damit verbundenen zeitgeistigen Phänomen. Neben dem Wert an sich wird nämlich auch gerne und ständig betont, wie sehr man die eine oder den anderen wertschätzt. Ohne die Postulierung von Wertschätzung kommt keine Diskussion mehr aus. Als wäre das etwas, das man in allem einfordern könnte oder jedem geben wolle, unabhängig von den Beteiligten, vom Inhalt des Gesprächs oder der Situation. Das aber führt zu einer Gleichsetzung aller, die nicht nach gleichen Wertvorstellungen handeln. Es muss daher möglich bleiben, einem Gegenüber vorzuhalten, dass er oder sie gegen die Wertvorstellungen einer menschlichen Gesellschaft verstößt. Und dass man dies auf keinen Fall wertschätzt und ebensowenig zulässt.

Kommen wir zurück zum Wert an sich. 

In dieser Welt nun, in der also Werte zum Rüstzeug der Alltagsbeteuerungen gehören, wird gleichzeitig universell bemängelt, dass genau sie verloren gingen, dass sie nicht mehr das Miteinander prägen würden, ja dass das Gegenteil – Häme oder Hass beispielsweise – viel verbreiterter sei.

Ob in der Politik, der Wirtschaft oder bei einzelnen Personen – allerorten wertewidrige Skandale, die in den Medien ausgeschlachtet werden. Die Medien wiederum spielen in der Nummer eine eigene Rolle, indem sie Werte zwar lauthals einfordern, gleichzeitig aber immer häufiger mit Getöse zertrampeln. Die so genannten sozialen Medien spielen da eine erschreckende Vorreiterrolle.

Hier verstärkt sich alles gegenseitig. Das einzige, was dabei schwach wird und unter die Räder kommt, sind die Werte. Sie haben immer weniger Bedeutung, ihr Aussagekraft schwindet. Eine Inflation der besonders gefährlichen Art.

Brauchen wir also neue Werte? Brauchen wir Werte-Schulen? Brauchen wir Werte-Verordnungen? Zu allen Fragen: Nein.

Was wir brauchen, ist weniger. Weniger Gerede über Werte.

Dazu noch eine Randbemerkung: In den Grundrechten des Grundgesetzes kommt in 19 Artikeln der Begriff „Wert“ nicht ein einziges Mal vor. Was gemeint ist und wie eine demokratische Verfassung gedacht ist, die die Würde des Menschen als die zentrale Orientierung versteht, das ist dennoch sehr deutlich verständlich. 

Wenn wir also davon ausgehen, dass Menschen auf andere angewiesen sind, dass sie ihre Kraft daraus ziehen, selber und mit anderen etwas zu gestalten, wenn es ihr Interesse ist, ein lebenswertes Leben in Würde zu führen, dann stecken in dieser Lebensvorstellung und in dem Wunsch, mit sich und der Welt im Reinen zu sein, schon ein vollständiger Wertekanon. 

In den kann man bedenkenlos einstimmen.

Zurück
Zurück

Langeweile

Weiter
Weiter

Argument