Wahrnehmung

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Ist etwas so Alltägliches einen Gedanken wert? Wahrnehmung ist doch eine Banalität, etwas, das uns mit den 5 Sinnen gegeben ist. Wir sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken. Na und? 

Wie bei vielen Dingen, die wir als „normal“ auffassen, ist es auch hier nicht so einfach.

Die Crux liegt schon mal darin, dass Sinneswahrnehmung und Wahrnehmung nicht ein und dasselbe sind. Das eine ist ein biologisch-neurologischer Prozess, das andere ein individuell-sozialer. 

Im ersten Fall kann man z.B. besser oder schlechter sehen. Ob altersbedingt, aufgrund bestimmter Lichtverhältnisse oder weil die Darstellung zu klein ist – es gibt verschiedene Gründe, warum die eine etwas besser erkennen kann als der andere. Beim Hören ist es ähnlich. Ein Kind kann meist sehr gut hören. Ob es das will ist wiederum eine andere Sache.

Hier wird bereits klar, dass Wahrnehmung nicht unbedingt nur ein Thema der biologisch-neurologischen Ausstattung ist.

Wir kennen das z.B. auch im Zusammenhang mit Zeugenaussagen. Es ist etwas passiert. Das kann als Fakt oft festgehalten werden. Zwei Autos, die verbeult ineinander verkeilt sind – klare Sache. Man kann davon ausgehen, dass die zusammengestoßen sind. Selten handelt es sich um eine Kunstinstallation, die mitten auf der Kreuzung aufgebaut ist.

Die Angelegenheit scheint also eindeutig zu sein. Aber ist sie es auch? Ist immer wahr, was wir wahrnehmen?

Wenn man verschiedene Personen zu dem scheinbar eindeutigen Sachverhalt befragt, danach, was sie gesehen haben, als es schepperte, bekommt man nie ein und dieselbe Aussage in der identischen Formulierung.  Schon im Moment des Sehens beginnt die Interpretation dessen, was da stattfindet. Und diese Interpretation ist die eigentliche Wahrnehmung. An dieser Stelle wird es spannend.

Wo schon Kunst ins Spiel kam: Kein noch so „realistisch“ gemaltes Bild, noch nicht mal ein Foto, ist einfach nur die Abbildung von etwas Faktischem. Diejenige, die es gemacht hat, hat in dieses Bild bereits eine eigene Sichtweise eingebracht. Und derjenige, der es betrachtet, hat wiederum eine Auffassung des Bildmotivs, die unter anderen Umständen zustande kommt und damit eine andere Bedeutung ergibt.

Und schon hat man zwei Meinungen.  

Auch bei ganz banalen Dingen, die irgendwo rumstehen, weiß man oft genug nicht, woran man ist. Man sieht einen Besen an der Wand. Hat den jemand vergessen? Ist der eine Aufforderung, jemand solle mal kehren? Soll der in den Müll? Je nach Beantwortung dieser Frage – sprich je nach Wahrnehmung – ist man unbeteiligt, fühlt sich zur Arbeit genötigt oder denkt sich seinen Teil. 

Wenn man diesen Prozess nun ausweitet auf weniger banale Themen, Themen, die neu sind oder in neuen Kontexten erscheinen und die mit Verunsicherung einhergehen, dann ist dem Interpretationsspielraum immer mehr Tür und Tor geöffnet. Man hat ja keine Grundlage, auf der man die Angelegenheit (vermeintlich) sachlich einschätzen könnte.

Das kann zu fantastischen und inspirierenden Ergebnissen führen. Die Vielfalt der Möglichkeiten, die durch unterschiedliche Wahrnehmung entsteht, schafft neue Herangehensweisen, interessante Gegebenheiten und ganz neue Blickwinkel. Manchmal ist es einfach lohnenswert, die Perspektive zu wechseln und eine Sache anders zu betrachten.

Wenn es in der Welt jedoch zu viele Möglichkeiten und gefühlt zu wenig Sicherheit und Stabilität gibt, wenn alles nur noch unüberschaubar zu sein scheint, dann kann die individuelle Wahrnehmung, besonders wenn sie schnell und unreflektiert erfolgt, zu höchst problematischen Fehleinschätzungen führen. Und wenn die nicht mehr überprüft, sondern zu schnell als Fakt eingeordnet werden, dann wird es kritisch und aus der Wahrnehmung eine Illusion. 

Die kann in einer Magie-Show zu hellem Erstaunen und großer Begeisterung führen. Aber in unserem sozialen Leben sollten wir uns davon fernhalten. Und besser nach den verschiedenen möglichen Wahrnehmungen suchen, die es geben kann. Damit es uns die Sinne nicht komplett vernebelt.

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