Diskussion
Es ist bemerkenswert, wie manche Begriffe in der deutschen Sprache schon am Klang ihre innere Bedeutung offenbaren. Bei Attacke hört man regelrecht, was da abgeht, während Friede ganz ruhig klingt. Ähnlich verhält es sich zwischen Diskussion und Dialog. Während Diskussion in der deutschen Aussprache hart hervorzischt, schwappt der Dialog wie eine Welle locker über die Füße. Vor und zurück.
Man könnte meinen, etwas auszudiskutieren sei doch eine feine Sache. Ein Thema steht im Raum, ein kontroverser Gedanke wird geäußert, die Gemüter erhitzen sich. Jede und jeder äußert die eigne Meinung, alle haben irgendwelche Argumente, ja Beweise parat und damit selbstverständlich recht.
Nun ist in einer Diskussion selten jemand da, der einen dort eingebrachten Beweis bestätigen oder widerlegen könnte. Man kann höchstens kontern mit einer gegenteiligen Sicht der Dinge. Und oft genug wird auch dazu ein vehement vorgetragener Beweis angeführt. Patt. Spätestens dann ist kein Weiterkommen mehr möglich. Es steht Meinung gegen Meinung, Beweis gegen Beweis, Aussage gegen Aussage. Insgesamt entsteht eine aggressive Stimmung.
Kein Wunder, bedeutet die lateinische Grundform discutere doch zerschlagen oder spalten.
Am Ende steht oft noch die Entscheidung aus, wer denn diese Diskussion, diesen Kampf gewonnen habe. Wer hat den Sieg aus dem kalten Krieg errungen?
Aber kann bei einer Diskussion überhaupt irgend jemand was gewinnen? Kann man aus solch einem aggressiven Gemetzel unbeschadet oder gar glücklich herauskommen?
Klare Antwort: Nein. Ein solches Gegeneinander von Positionen kennt nur Verlierer.
Anders verhält es sich mit dem Dialog. Auch bei einem Dialog geht es hoch her. Aber nicht, weil man etwas durchdrücken will und die lauteste Stimme zählt, sondern weil sich die Beteiligten für die Inhalte interessieren. Weil ihnen etwas wichtig ist. Weil sie mit neuen Erkenntnissen aus diesem Zuhören und Sprechen herauskommen wollen.
Beim Dialog geht es um die Sache, in der Diskussion zu oft darum, wer die Macht hat. Aber mit Macht lässt sich immer weniger erreichen. Schon mal gar keine Lösung, die Zustimmung bewirkt und die Bereitschaft, sich zu beteiligen.
Dialog ist eingebunden in einen Vernunftrahmen, bezeichnet durch den Wortteil „logos“.
Es geht um die geistige, die gedankliche Auseinandersetzung zu unterschiedlichen Sichtweisen auf ein Thema.
Verschiedene Teilnehmer und Teilnehmerinnen in einem Dialog versuchen, sich über unterschiedliche Ansätze, Gedanken, Auffassungen einer Frage anzunähern. Über Beobachtung, Reflektieren, Vermutungen, Erkenntnisse, Aussagen wird etwas im Wechsel besprochen, beleuchtet, gedreht und gewendet. Ohne Vor-Urteile, ohne Missgunst und ohne die Angst, etwas verlieren zu können.
Das Ergebnis ist oft genug keines. Außer dem Gewinn von neuen Impulsen, Ein- und Ansichten, Ergänzungen oder Verwerfungen. Und die sind wieder Stoff für weitere Dialoge. Mit denselben Personen oder mit anderen. Wieder im Hin und Her, im Wechselspiel.
Das, was da passiert bedeutet Entwicklung. Es geht nicht um die Manifestation einer einzelnen Meinung und darum, andere dazu zu bringen, sogar zu zwingen, der zu folgen, sich der zu beugen.
In einem Dialog geht es darum, ein Verständnis zu finden, das alle mittragen können. Auch wenn dabei nicht immer alle einer Meinung sein müssen. Es braucht nicht den einen Guru, der alles am besten weiß.
Es gibt eine Menge Dinge, über die brauchen wir nicht zu diskutieren. 5+3 sind 8. Soweit bekannt ist, gilt das auf der ganzen Welt.
Über das Meiste wiederum sollten wir gar nicht erst diskutieren, weil man sich dabei höchstens die Köpfe einschlägt. Zwar „nur“ verbal, aber auch das spaltet und tut weh.
Über entscheidende Themen unseres Lebens und Miteinander-Lebens aber müssen wir in einen Dialog treten. Uns offen austauschen über Ereignisse, Gedanken und Aussagen, die uns verunsichern, die wir nicht verstehen. Das könnte zu einem vernünftigen Verständnis führen, das uns gemeinsam weiterbringt.
Das ist nicht einfach, kann aber höchst bereichernd sein – und macht auch nichts kaputt. Im Ergebnis – das gibt es dann doch - gehen alle ohne Blessuren und zudem schlauer aus der Übung raus. Lohnt sich also.