Veränderung
Ein scheinbar so harmloses Wort, das bei genauerer Betrachtung jedoch seine Dramatik offenbart.
Veränderung passiert, jeden Tag. Der Lauf der Dinge, wie man es auch so schön oder resignierend sagt. Das ist die Veränderung, die das Leben so mit sich bringt.
Älter werden, Wetterwechsel, Tag und Nacht, Reifenpanne. Was soll man machen, kommt halt so.
Doch in dem Moment, wo es englisch wird, sollte man hellhörig werden: “Change” klingt schon lange nicht mehr so entspannt wie der Gezeitenwechsel aus Ebbe und Flut. Da macht einer was mit einem, da wird gefordert, man soll sich selber verändern. Stress entsteht, weil man von außen Druck bekommt.
Diese Veränderung passiert nicht, wir haben den Eindruck sie grassiert – wie eine Seuche. Ständig muss man auf der Hut sein, ständig wird verlangt, man solle sich am Prozess beteiligen, darf sich den Anforderungen nicht entgegenstellen.
Wie soll man damit umgehen? Gibt es dagegen ein wirksames Mittel? Kann nicht einfach alles so bleiben wie es ist?
Nein. Erstens wäre das für Viele das Ende der Hoffnung, denn Veränderung bedeutet für eine Menge Menschen auf dieser Welt die Aussicht auf das Bessere.
Und zweitens kann man ja auch in einem Zustand der Stabilität mal was Anderes wollen. Das nennt man dann gerne Abwechslung und klingt doch schon gleich viel netter. Da wird‘s auch im Englischen nicht schlimm: Entertainment haben wir alle gern.
Doch mit echter Veränderung, die länger als nur eine Seriensequenz dauert, tun wir uns schwer. Die wollen wir meist nicht. Neue Rechtschreibung – DAGEGEN; neue Straßenführung – DAGEGEN; neue Arbeitsweise – DAGEGEN.
Dinge jedoch – und seien sie noch so katastrophal – die als Naturphänomen passieren, die nehmen wir schicksalsergeben hin, spucken in die Hände und räumen wieder auf.
Müssen wir erst erkennen, dass der Tsunami schon das Haus überrollt hat, bevor wir uns bewegen?
Es gibt Menschen, für die ist schon die allmorgendliche Veränderung – raus aus dem Bett – eine Zumutung. Und es gibt Menschen, die schäumen über vor Lust, etwas Anderes zu machen, von Neuem loszulegen, sich neu zu erfinden.
Ganz vorne stehen da Künstlerinnen und Künstler, Leute, die unsere Kultur bereichern und entwickeln, die ständig Erfindungen machen – auch wenn die scheinbar allzu oft keine weltbewegende Bedeutung haben. (Man kann nur in den seltensten Fällen so etwas wie einen kleinen angebissenen Apfel draufkleben, und dann wird das ein Welterfolg. Und es ist wohl auch kaum möglich, mit Kunst eine schwere Krankheit zu heilen.)
Braucht man Kunst also? Oder kann die weg?
Man braucht sie! Denn in dem, was Kulturschaffende schaffen, steckt eine Kraft, die uns zu motivieren vermag, Veränderung als etwas zu verstehen, mit dem man die Welt gestalten kann. Kunst ist evolutionär und revolutionär gleichermaßen. Sie beruhigt und sie rüttelt wach. Sie wirkt langsam oder versetzt einem einen kleinen Schock. Sie reizt zu Widerstand oder zu unbedingter Hingabe.
Wenn wir unser Leben nicht als irgendetwas zwischen Schlafen und Wachen und einem ewigen Zustand zwischen Arbeit und Urlaub, sondern als Kunst-Werk begreifen könnten, das nie fertig ist, dann könnte das doch ein richtig schönes Leben sein.
Und wenn wir alle gemeinsam an diesem Kunstwerk mitgestalteten, würden wir ständig neu überrascht, was sich dabei entwickelt.
Nennen wir Veränderung also doch einfach anders: Kunst. Und schon haben wir das Gefühl, da entsteht etwas, das vielleicht nicht immer spektakulär, aber unser Werk ist. Am besten sind wir dann einfach stolz drauf.