Wachstum

Harmloses Wort, sollte man meinen. Und doch eines, das so unfassbar viel Interpretationsspielraum hat. Vom Kind, das wächst – „Ach, ist der groß geworden!“ – über Haare, die lang werden bis hin zu Märkten und Vielem mehr.

Es ist meist erst im Kontext klar, ob das jeweilige Wachstum zu begrüßen ist oder eher nicht. Denn: Wachstum ist nicht per se etwas Gutes. Wachsen Schulden, Krisen, Konflikte und überhaupt die Sorgen, sind dies keine Gründe für Freudensprünge. 

Im Zusammenhang mit Unternehmen oder Wirtschaft, im Verständnis von Kapitalismus allerdings, da gibt es nach verbreiteter Lehrmeinung nur eine Richtung: nach oben. Da muss Wachstum erreicht werden, immer mehr, immer höher, immer größer. Da gilt der quantitative Vergleich, der sich an meßbaren Vorgaben orientiert: am Wettbewerb, an Gewinnerwartungen, an Kursentwicklungen, die in Tabellen und Diagrammen übersichtlich und scheinbar rational bis alternativlos abgebildet werden.

Unter dieser Definition von Wachstum jedoch ist Vieles zerstört worden. Und auf diese Art lässt Wachstum viele Bereiche außen vor, die für Menschen jedoch entscheidend sind. Wenn im wirtschaftlichen Kontext Wachstum zulasten von Umwelt, weltweitem Klima, von sozialem und gesundem Leben auf allen Kontinenten, von Frieden und Gerechtigkeit geht, dann fehlt diesem Wachstum die Berechtigung. 

Nun stellt sich die Frage – schon breit diskutiert und immer wieder im Raum stehend: Geht in unserer globalisierten Welt, die zwischen Grenzöffnung und Grenzziehungen hin und her mäandert, ein Rückzug aus dem Wachstum, aus dieser Art von Wachstum? Und welche Welt hätten wir dann, wie würden wir dann leben?

Manchmal hilft es ja, wenn man einen Begriff hinterfragt und gegen einen anderen tauscht. Nehmen wir mal Wachstum aus dem Spiel und nennen es stattdessen Entwicklung.  

Vermutlich haben die Wenigsten etwas gegen Entwicklung einzuwenden. Nun gut, auch die kann natürlich anstrengend sein, weil Entwicklung impliziert, dass sich was ändert, dass man sich bewegen muss, dass die Dinge nicht einfach so bleiben, wie sie sind.

Aber immerhin können sich alle daran beteiligen, die teilhaben und sich und die Welt zum Guten hin voranbringen wollen. Und Entwicklung kennt immer auch verschiedene Richtungen und damit Optionen.

Beim klassischen Wachstum haben zunehmend mehr Menschen den Eindruck, sie könnten nicht mithalten, seien in einer Spirale gefangen, die sie allerdings nicht selber beeinflussen können, müssten sich anpassen in einem System, das Geschwindigkeit, Funktionen, Gradmesser vorgibt.

Würde man von Entwicklung sprechen und die wiederum nicht eng definieren, dann wäre eine vielfältige Art möglich, in der Menschen ein Leben führen, in dem Gesellschaften, Unternehmen, Kultur, Bildung, Technologie gestaltet werden könnten - in einem Umfeld aus Natur, aus Orten und Städten, aus Atmosphäre und für die Generationen von heute, morgen und weit darüber hinaus.

Kommen wir mal wieder auf die wachsenden Kinder zurück: Bei ihnen zählt doch auch nicht die meßbare Größe, sondern ihre persönliche Entwicklung. Sie lernen sprechen und interagieren, sprühen vor Kreativität und verwundern mit so Vielem mehr.

Diese Persönlichkeiten brauchen eine lebenswerte Welt, in der sie zum Vorteil aller sich stetig weiter entwickeln und ihr Umfeld gestalten können. Dann wird das alles vielleicht nicht höher-größer-mehr, aber schöner-freier-friedlicher. Dieses Wachstum bringt uns weiter.

Eine ziemlich wünschenswerte Entwicklung.

Zurück
Zurück

Diplomatie

Weiter
Weiter

Prinzip