Prinzip
Das Prinzip hat es in dieser Zeit nicht leicht. Zwischen Prinzipienreitern und prinzipienlosen Gesellen sucht es seinen Platz. Grund genug, sich mit diesem doch eigentlich so hehren Anspruch einmal zu befassen.
Fangen wir mal wieder vorne an, beim Wort selber.
Ein Prinzipal war im ursprünglichen Verständnis der erste, der vornehmste Vorsteher. Damit hatte er nicht nur Macht, sondern auch Verantwortung. Diese Person war zuständig für das Gelingen eines Vorhabens, hatte Richtlinienkompetenz, war für die wesentlichen Entwicklungen und die Maßnahmen zuständig, die es zu treffen galt.
Gute alte Zeiten, möchte man denken. Welche Kanzlerin, welchen Präsidenten, welches Staatsoberhaupt würde man unter diesen Vorgaben heute noch eine Prinzipalin, einen Prinizipal nennen können? Oder anders gefragt: Wer lässt sich heute noch von Prinzipien leiten?
Prinzipien wirken ein wenig aus der Zeit gefallen. Die kann man sich in einer sogenannten VUKA-Welt doch gar nicht mehr leisten. Zu starr, zu autoritär, zu einengend. Es braucht doch Flexibilität, die Möglichkeiten, auf schnellen Wandel geschmeidig zu reagieren. Da stehen Prinzipien nur im Weg.
Weit gefehlt könnte man allerdings auch argumentieren. Genau in dieser Zeit geben Prinzipien einen Rahmen, innerhalb dessen all das gestaltbar ist, was heute und in Zukunft ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.
Sich in einer Gesellschaft nicht über Meinungen, über Kommentare, über scheinbar populäre Behauptungen zu streiten, sondern sich tatsächlich mal auf Prinzipien zu einigen, die den Herausforderungen gerecht werden, denen wir uns als Menschheit stellen müssen, das wäre mal wirklich eine Leistung.
Es gibt bereits Dokumente, an die man sich halten könnte. Ob Verfassungen demokratisch legitimierter Nationen, Vereinbarungen zum friedlichen Miteinander von Staatengemeinschaften bis hin zur Charta der Vereinten Nationen - in all diesen errungenen Übereinkünften stecken Prinzipien, die uns weiterbringen und weiterhelfen können.
Sie sind uns nicht durch irgendeine ominöse Macht verordnet worden, sie sind menschengemacht und im demokratischen Sinne legitimiert. Aus Einsicht, aus Verantwortung, nicht zuletzt aus dem visionären Wunsch heraus, den Planeten für jedes Lebewesen, in einer Atmosphäre, die uns Leben erst ermöglicht und für ein friedliches Miteinander bewohnbar zu halten.
Diese Prinzipien zu verinnerlichen, diese zu einer Selbstverständlichkeit zu machen, sich konsequent im Sinne einer Weltgemeinschaft verantwortlich zu verhalten, das würde uns allen mehr Freiheit geben.
Ein Widerspruch? Prinzipien und Freiheit? Weit gefehlt.
Freies Leben lässt sich nur gestalten, wenn man sich als Gesellschaft auf Prinzipien einigt, die Freiheit für alle gleichermaßen schaffen. Denn das ist das Wesentliche eines Prinzips: Es gilt für alle. Es verspricht nicht Privilegien für Einige, sondern gerechtes Leben für jeden Menschen.
Märchenhaft. Und damit auch aussichtsreich: „Denn wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Wir entscheiden darüber, wie dieses Leben aussehen wird.