Vorurteil

Heute sind wir schnell dabei, uns eine Meinung zu bilden. Und daraus auch gleich ein Urteil zu zimmern. Doch immer seltener basiert ein solches Urteil auf echter, valider Einschätzung, auf intensiver Befassung mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt oder einer Person oder einem Verhalten. Stattdessen wird schnell eine Schlußfolgerung gezogen, also geurteilt, bevor man von etwas oder jemandem wirklich weiß.

Je mehr wir in immer größeren Kreisen miteinander agieren und klarkommen müssen, desto problematischer werden Vorurteile. 

Waren sie früher vielleicht noch hilfreich, um sich in einer übersichtlichen Welt nach einfachen Regeln zurechtfinden und wie bei Aschenbrödel die Guten in das eine und die Schlechten in das andere Töpfchen sortieren zu können, so ist diese Methode heute nicht mehr zielführend - um einen Prinzen, eine Freundin, einen Geschäftspartner oder einen Arbeitgeber, eine Sitznachbarin oder sonst wen zu finden.

Eine valide Einschätzung braucht Zeit, braucht Kenntnis, braucht Befassung, Analyse, Einblick. Und ohne das Verständnis von Zusammenhängen kann man weder zu einem Sachverhalt noch zu einem Menschen einen Zugang bekommen. Und ohne den wiederum ist auch kein Urteil, keine Entscheidung möglich, die Orientierung gibt.

Das aber ist der ultimative Zweck eines Vorurteils. Anstatt sich mühsam mit allen möglichen (und unmöglichen) Aspekten einer Person oder einer Situation zu befassen und die in ihre Einzelheiten, ihre Pros und Cons zu zerlegen, soll das Vorurteil eine schnelle Kategorisierung ermöglichen. 

Für eine langwierige Auseinandersetzung haben wir ja nun alle keine Zeit. Wir kennen zudem keine Instrumente, um hinter die Kulissen zu blicken und haben kein Interesse, uns mit Dingen zu befassen, die sich möglicherweise nicht ins eigene Weltbild einfügen.

Und darum hat das Vorurteil Hochkonjunktur. Nicht nur das größte Boulevardblatt der Republik claimt, man solle sich seine Meinung bilden, während es gleichzeitig vor allem Vorurteile schürt. Auch in Talkshows wird alles daran gesetzt, zementierte Perspektiven in Stellung zu bringen und gegeneinander aufzuhetzen. 

So entsteht kein Verständnis, keine kritische Auseinandersetzung, keine Haltung, die den offenen Zugang zu anderen ermöglicht und die Neugierde für die Welt ankurbelt. Stattdessen suchen wir uns unsere Blasen, unsere Komfortzonen, richten uns in unserer abgeschotteten Welt ein und verweigern uns der Veränderung.

Denn genau das ist die Ursache für Stillstand und eine Sturheit, die alles lähmt: Vorurteile machen zu, nicht auf. Sie wehren ab, anstatt dem Neuen Raum zu geben. Sie ängstigen, anstatt Mut zu machen.

Vorurteile gehören abgeschafft! Denn sie haben in dieser Welt, die offenes Miteinander braucht, nur Nachteile.

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