Kultivierung
Was ist das nun wieder für ein spezielles Wort? Kultur – kennt man. Was Kulturelles kann man sich auch vorstellen. Der Kulturbetrieb scheint ziemlich klar zu sein – Museen, Theater und so. Aber Kultivierung?
In der Biologie, der Landwirtschaft oder im Landschaftsbau, da legt man Kulturen an oder kultiviert Pflanzen, die wachsen und gedeihen sollen. So soll etwas entstehen, sich vermehren, ein Ergebnis erreicht werden. Um eine Krankheit zu heilen oder mehr Getreide zu produzieren. Kultivierung dient in diesem Falle dazu, ein Mehr, Wachstum zu erzeugen.
Was, wenn man den Begriff mal anders auflöst? Kultur bedeutet nämlich in seinem Ursprung nicht zuletzt die Pflege auch von geistigen Fähigkeiten. Oder – nehmen wir den Kult – eine huldigende Verehrung.
Kultur ist an die intellektuellen Fähigkeiten und die Bereitschaft von Menschen geknüpft, sich weiterentwickeln zu wollen. Menschen, die bestrebt sind, immer wieder neue Wege zu finden, Orte zu begründen – für sich und ihr Umfeld – und miteinander Möglichkeiten der Kommunikation zu gestalten.
Das alles erfordert Austausch und Verständigung. Um sich im Leben und in einer immer größer werdenden Menschheit zurecht finden zu können, sind Methoden und Instrumente nötig, die Irrfahrten, Konflikte und Streit vermeiden helfen. Denn all das kostet Energie, die man anders sinnvoller, ergiebiger und kreativer einsetzen kann.
Damit sind wir wieder bei der Kultur. Und das, was sie kann – nämlich kultivieren. Nicht nur Begrüßungsrituale, Tischmanieren oder regelkonforme Verhaltensweisen werden über kulturelle Vereinbarungen verhandelt, das ganze Leben lässt sich mit menschlichen Kultureigenschaften besser gestalten.
Dabei ist es im Wesentlichen gar nicht entscheidend, ob man beim Willkommen den Kopf auch tief genug neigt, jede Formel des Small Talks auswendig wiedergeben kann oder das richtige Schuhwerk gewählt hat. Das alles hilft, um kleine Fettnäpfchen zu umgehen, macht aber das Miteinander der Menschen nicht in seinen Wesenszügen aus.
Da kann man sich besser an humanitären Idealen ausrichten, die einhergehen mit Respekt, mit Aufmerksamkeit, mit der Wahrnehmung von feinen Zwischentönen.
Kultivierung ist in dem Zusammenhang die ständige Übung darin, sich einzulassen auf das Nicht-Eigene, auf das erst einmal fremd Wirkende, auf Neues, das herausfordert. Und all das zu analysieren, auf seine Werte hin abzuklopfen und dann in einen menschlichen Kontext zu bringen.
Alles, was uns als Menschheit ausmacht, was unsere persönliche Welt erweitert, uns Möglichkeiten der geistigen Entwicklung aufzeigt, das macht Kultivierung aus. Darüber werden wir befähigt, das zu werden,, was wir sein wollen: Lebewesen auf unserem Planeten, die diesen nicht vereinnahmen, sondern im klugen Sinne eines kulturellen Miteinanders bewohnen und lebendig gestalten.