Vorstellung
Ein auf den ersten Blick ziemlich unbedeutsames Wort, auf den zweiten Blick steckt eine ganze Menge drin. „Darf ich vorstellen?“ Schon hat man jemanden vor Augen, der eine andere Person leicht nach vorne schiebt, einem Dritten entgegen, und diese Person entsprechend präsentiert. Da will die eine dem anderen jemanden bekannt machen.
Eine nächste Assoziation: Man macht sich zurecht und begibt sich auf den Weg zu einem Theater, einem Zirkus, einer Eventlocation. Hier wird eine Vorstellung geboten, die man gebucht hat und die man sich anschauen will.
Besonders schön allerdings ist die Vorstellung, die man im eigenen Kopf entwickelt. Dafür gibt es ein Fremdwort bzw. die englische Bezeichnung, und die heißt Imagination. In diesem besonders schwingenden Begriff steckt das drin, was das Wort Vorstellung im alltäglichen Gebrauch kaum auszudrücken vermag: Ein Zauber.
Wie ein Magier bringt der eigene Kopf allein durch gedankliches Tun etwas in Bewegung, erzeugt ein Bild - neudeutsch „Image“ - und ermöglicht eine Vision, die im zu erledigenden Alltag kaum noch aufkommen kann.
Hier wird deutlich, dass „Vorstellung“ etwas bedeutet, das dem Neuen die Türen öffnet. Etwas bislang Unbekanntes wird in diesem Moment konkret, wird zu einer Möglichkeit, erzeugt einen Impuls, der zu etwas Neuem führt.
Man lernt jemanden kennen, man sieht eine Geschichte, aus der man etwas erfährt, oder man erfindet eben selber einen Weg, auf dem man - im besten Fall gemeinsam mit anderen - etwas bisher Unvorstellbares erreichen kann.
Leider hat man uns diese Imaginationskraft verbreitet abtrainiert. Selbst Kindern wird es schnell abgewöhnt herumzufantasieren. Nicht das Irreale, das, was man sich selber nicht denken kann, ist erstrebenswert, sondern das Wiederholen, das Nachmachen, das ewig Gleiche und Gewohnte. In der Folge entdecken auch erwachsene Menschen vorzugsweise nichts mehr. Schon mal gar nicht etwas, das sie nicht kennen.
Alles muss bis ins Kleinste ausgeleuchtet, bereits präpariert, sicher und vorbestimmt sein, bevor man sich auf eine Reise begibt. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles soll funktionieren.
Wen verwundert es, dass es diesen Menschen dann kaum mehr möglich ist, mit einem Zufall umzugehen, kreative Lösungen zu entwickeln, sich neu aufzustellen, etwas daraus zu machen, das man sich vielleicht ursprünglich so nicht gedacht hatte, das aber - mit etwas Vorstellungsvermögen - dann doch noch eine schöne Wendung nimmt.
Meistens sind das die besten Überraschungen und die spannendsten Geschichten, die aus solch einer Entwicklung entstehen. Davon kann man auch später noch berichten und hat die Aufmerksamkeit auf seiner Seite. Alles andere ist nur langweiliges Nacherzählen.
Es gibt so viele Anlässe, die unsere Vorstellungskraft, unsere Kreativität und unsere Lust auf den Umgang mit Überraschungen erfordern. Imaginieren wir uns doch mal in eine Welt, die nicht durch Vorhersagen vermeintliche Sicherheit verspricht, sondern die mit kreativen Bildern etwas aufmacht, das uns erstrebenswert zu sein scheint.
Eine wunderbare Vorstellung.