Dankbarkeit

Schon Kindern bringt man bei, sich schön artig zu bedanken, wenn sie etwas bekommen haben. „Wie heißt das Zauberwort?“ Mit einer derartigen Frage versucht man, den Sprösslingen diese passende Reaktion zu entlocken. So, als wäre „Danke“ eine Art Simsalabim in einem Märchen, ein Sesam-Öffne-Dich für alles, was man haben möchte. Sehr nützlich also.

Nun kann man die Frage stellen, ob damit der Sinn des Wortes erkannt und auch vermittelt wäre: Wendet man den Begriff also rituell, aus Gewohnheit, in einer Art kultureller Selbstbestätigung an? Fungiert er als eines der letzten Schmiermittel, damit Gesellschaft nicht völlig aus den Fugen gerät? Das wäre tatsächlich ein ziemlich trauriges Ergebnis für dieses Wort, das mit seiner Bedeutung deutlich mehr Wertschätzung verdient hat, als es der Begriff heute im Alltag genießt.

So Vieles, das uns nervt, ärgert, ja erschüttert. Entscheidungen, die wir nicht verstehen, die wir als ungerecht empfinden, die sogar zerstörerisch sein können. Konflikte, Kriege, Katastrophen. Rempeleien, Frechheiten, sogar Hass, der ausgekübelt wird. Die Liste der Schrecklichkeiten ließe sich noch um Einiges fortsetzen. Wie soll da bitte schön Dankbarkeit aufkommen?

Man könnte sagen: Gerade drum. Setzen wir all dem Üblen, dem Bösen etwas entgegen. Man könnte auch sagen: Seien wir einfach mal nett. Auch das sind mögliche Gründe: Weil doch Weihnachten ist oder Ostern oder Omas Geburtstag oder Jahresbeginn oder welcher Anlass auch immer.

Oder man könnte zu der Auffassung kommen, dass es nicht weiterführt, immer nur das Klagelied zu singen, zu meckern, in Bausch und Bogen verallgemeinernd „die“ Politik, „die da oben“, „die“ Jugend, „die“ Alten oder sonst eine in Schubladen gesteckte Gruppe zu kritisieren. „Die“ gibt es nämlich nicht.

Für das individuelle ebenso wie für das Leben in einer kleinen oder großen Gemeinschaft sind wir selbst zuständig. Wir können weder Verantwortung noch ein lebenswertes Miteinander deligieren. Darum müssen wir uns schon selber kümmern.

Auch, wenn „das alles da draußen“ undurchsichtig zu sein scheint, wenn man einfach keinen Durchblick mehr hat, wenn in den Kanälen, in denen man sich aufhält, das große Aufheizen fast noch heftiger stattfindet als in der Atmosphäre, so ist das nicht aufzuhalten oder zu ändern, weil man sich an diesem konflikterzeugenden Prozess beteiligt.

Sich da herauszunehmen, mal Abstand zu nehmen, zu reflektieren, was da eigentlich abgeht und warum, kann ein erster Schritt sein, um festzustellen: Pöbeln ist keine hilfreiche Version, um etwas zum Guten zu ändern. Sich in die Kakophonie des Jammerns, Hetzens und Verleumdens einzureihen befreit vielleicht für einen Moment vom eigenen Druck, aber fast im gleichen Moment kommt der Frust hoch. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte sich hier wirklich Luft zum Atmen verschaffen und so zur Ruhe kommen.

Erst recht ist über diese Methode keine Lösung zu erreichen. Das dürfte mittlerweile, wo sich eine Krise an die nächste reiht, auch dem Letzten klar geworden sein.

Aber hier sollte es doch um Dankbarkeit gehen - wo soll die denn nun herkommen

„Jetzt erst recht“ könnte eine Reaktion sein. Besser noch: Schauen wir mal, was sonst noch so um uns herum stattfindet.

Jede und jeder von uns wird doch - wenn man nur ein kleines bisschen aufmerksam ist - täglich etwas sehen, bemerken, erleben und fühlen können, was das Leben schön macht. So banal das klingt: eine kleine Geste, das berühmte Lächeln (es muss noch nicht mal das der Mona Lisa sein), eine Musik, eine Postkarte, der Blick aufs Meer, das unkontrolliert freie Juchzen eines Kindes, eine frohe Überraschung …. Die Reihe der möglichen Gründe für Dankbarkeit lässt sich für jeden Menschen individuell erweitern. Und es gibt jeden Tag neue Anlässe, dankbar zu sein.

Wenn man sich mal auf diesen Gedanken einlässt und versucht, dem eifernden Automatismus des Miesepetrigen ein Stopp-Signal entgegenzusetzen und stattdessen um sich zu schauen, um wahrzunehmen, wo es den kleinen Glücksschnipsel gibt, der die Welt ein wenig heller macht, dann könnten wir alle gemeinsam eine enorme Menge Energie freisetzen.

Die beste Energie, die es gibt, um Zukunft zu etwas Erstrebenswertem zu machen. Danke dafür.

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