Tellerrand
Ein Teller ist ein Teller. Meist mit einem Rand. Sonst würde die Suppe ja auslaufen. Manchmal ist der Rand schmal, ein anderes Mal breiter, mal verziert, mal schlicht. Auf jeden Fall legt ein Tellerrand fest, bis wohin das entsprechende Gefäß gefüllt werden kann. Alles darüber hinaus ergibt eine Sauerei.
Und so verhalten sich die Meisten sehr vorsichtig und beachten diese Umrandung. Bloß nicht weiter hinaus geraten.
Was beim Suppenteller sicherlich Sinn macht, dreht sich mit dem Aufruf, man solle doch mal über den Tellerrand blicken, ins Gegenteil. Hier nämlich symbolisiert der Teller ein eng definiertes Terrain und alles, was da - laut Rezept - nicht reingehört, kommt auch nicht rein.
Der Teller ist der sichere Raum, aus dem heraus man seine eigene Suppe auslöffeln kann.
Und genau da wird es öde. Das wusste schon der Suppenkaspar. Nun kann das Schicksal dieses Gesellen nicht gerade zur Nachahmung empfohlen werden.
Aber sich zu wehren dagegen, die ewig gleiche Suppe tagtäglich und immer wieder aus dem tiefen Teller zu schöpfen, das ist mal kein schlechter Anfang. Für alle, die neugierig sind und sich fragen, was es außerhalb des Tellerrandes noch so geben könnte.
Vielleicht ganz andere Köstlichkeiten, die überraschende Eindrücke bieten? Vielleicht Neuheiten, die man sich kaum vorstellen konnte? Oder Rezepte, die zu ganz speziellen Erlebnissen führen?
Und für alle diese Entdeckungen braucht es keinen tiefen Teller, vielmehr eignet sich eine randlose Platte. Oder man lässt auch die gleich weg.
So kann jeder ran, da kann auch jeder etwas ergänzen, das kann eine bunte Vielfalt geben, von der jede und jeder probieren kann.
Über den Tellerrand zu blicken eröffnet andere Welten. Im Kleinen wie im Großen. Welten die phantasiereicher, lebendiger, kreativer und lustiger sind als die Welt des eingegrenzten Tellers, auf dem innerhalb des Randes alles fein säuberlich kalkuliert arrangiert wird.
Lassen wir uns überraschen, ob dieses Modell durchsetzbar ist – der randlose Teller für mehr Neugier, Vielfalt und Experimentierfreude.
Im besten Fall gibt’s keine Sauerei, sondern ein großes Vergnügen für alle.