Normalität

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Laut und überall vernehmbar ist der Ruf nach Normalität. Wahlweise soll es die alte oder eine neue sein. Was damit jeweils gemeint ist, wird so recht nicht deutlich, insbesondere dann nicht, wenn man sich den Wortstamm „Norm“ vor Augen führt. Offenbar wollen die, die nach Normalität rufen bzw. diese einfordern eine Norm, nach der sie sich richten können. Oder richten müssen. Oder richten wollen. 

Was soll das denn werden, wenn es fertig ist?

Eine Norm macht klipp und klar deutlich, was gilt. Wobei das nicht so ganz stimmt. Manch eine Norm ist so formuliert, dass sie einem spanisch oder noch unverständlicher vorkommt. Letztlich soll eine Norm normieren und damit Grenzen setzen. Das, was außerhalb dieser Grenzen, dieser Norm liegt ist – klar, das dachte man sich schon – unnormal.

Wenn sich um uns herum gerade alles dreht, wenn wir immer mehr Mühe haben, Halt zu finden und wenn uns immer mehr Regeln, Sicherheiten, Vorgaben wegbrechen, dann sehen das Viele nicht als Befreiungsschlag, sondern als Anlaß, mal wieder enge Grenzen zu setzen. Denn so geht es ja wohl nicht!

Persönlich will man sich seiner Freiheiten allerdings auf keinen Fall berauben lassen, man will ja wohl immer noch machen dürfen, worauf man doch ein Anrecht hat.

Hier nun wird es schräg. Woraus ergibt sich ein solches Recht? Was steht jedem Menschen zu? Wer garantiert, dass ein bestimmter Status – ein anderes Wort für Normalität, könnte man meinen – gilt? Dass ein Regelwerk oder eine Norm Sicherheit gibt?

Vermutlich haben wir uns zu sehr auf die Gegebenheiten des vermeintlich Faktischen verlassen. Wir haben einen Status erreicht, hinter dem wir nichts anderes mehr erkennen können.

Dass uns dies nun alles gehört und zusteht, das ist doch wohl folgerichtig normal. Was soll denn sonst noch kommen?

Blöd nur, dass dieser Status gerade – nein, tatsächlich schon seit Jahren – zerbröselt. Politisch, in der Arbeitswelt, in Sachen Gesundheit, Ernährung, Leben und Sterben, bei Bildung, im Generationenverhältnis, in technologischer Hinsicht, in sozialen Gemeinschaften - in dieser Aufzählung hat jede und jeder eigene Fortsetzungsmöglichkeiten. Überall bricht es wahlweise zusammen oder auf.
Was also soll „normal“ noch sein? Oder (wieder) werden?

Wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass nichts mehr feststeht. Was nicht heißen soll – und vor allem nicht heißen darf –, dass nichts mehr gilt!
Aber genau das auszuhandeln, was das sein könnte, auf das wir uns für die Zukunft verständigen könnten, das wäre eine wirklich großartige Aufgabe.
Die sollten wir nicht an das Beamtentum und Normungsfetischisten abgeben, die eine „Normalität“ zurechtschrauben. Dieser Aufgabe sollten wir uns alle mit Freude selber zuwenden.

Nicht, um Normalität oder gar eine Norm zu schaffen, sondern eine Lebenswelt, in der Emotionen, Spielfreude, Lässigkeit, Kreativität gelten. Vor dem Hintergrund von Werten, die für alle gelten. Humanistischen Werten des Miteinanderumgehens, des Aufeianderachtens und des Füreianderdaseins.
Das kann jede und jeder auf seine Art. Schlicht menschlich. Ganz normal.

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