Mobilität
Verbreitet ist die Welt derzeit zum Stillstand verdammt. „Lockdown“ heißt das Stichwort, das rege Leben ist heruntergefahren. Gleichzeitig ist schon seit einer ganzen Weile von Mobilität als dem Kennzeichen einer modernen, globalen und offenen Gesellschaft die Rede. Wer nicht „mobil“ ist, ist von gestern.
Doch was ist eigentlich mit dieser Mobilität gemeint?
Der Begriff hat zunächst mal einen hohen Stellenwert in den Industrien und Organisationen, die von einem hohen Bewegungsdrang leben bzw. diesen steuern müssen:
Da steht die Fahrzeugindustrie mit all ihren Zulieferern ganz zuvorderst; im Weiteren die Tourismusbranche, die Fluglinien und der Schienenverkehr, die Stadt- und Raumplanung, Start-Ups für neue Konzepte wie eRoller oder verleihbare Stadtfahrräder bis hin zu den Erfindern von Fortbewegungsmitteln für Menschen mit Bewegungseinschränkungen. Und auch die Medizin entwickelt immer mehr Mittel und Methoden, Mobilität zu garantieren.
Alle wollen mobil sein, und damit ist vor allem gemeint, in die Lage versetzt zu werden, sich physisch im Raum von A nach B, vielleicht weiter nach C und D und wieder zurück bzw. über weitere Punkte zu bewegen.
Das fängt schon früh an. Jedes Kind drängt danach, sich möglichst bald aus dem Zustand der Unbeweglichkeit zu entwickeln. Es will raus aus der Abhängigkeit von anderen und selbständig einen anderen Punkt erreichen. Kann es erst mal krabbeln, dann mit wankendem Schritt gehen, schließlich laufen, erschließt es sich die Welt.
Damit einher geht eine geistige Mobilität. Und die wird – so scheint es manchmal – in der Betrachtung dieser Eigenschaft zu oft vernachlässigt.
Dabei brauchen wir die so dringend.
Wenn der Bewegungsradius aufgrund einer weltweiten Pandemie enorm eingeschränkt wird und wenn es sowieso angeraten zu sein scheint, Verkehrsmittel, die dazu beitragen, die Klimakrise zu verschärfen, zunehmend zu meiden, dann empfinden das Viele als den Anfang von Stillstand. Die Möglichkeiten werden behindert, der Blick in die Welt verstellt.
Doch ist der Wechsel von einem Ort zu anderen, das Fort-Bewegen wirklich die einzige Möglichkeit, sich die Welt zu erschließen? Was ist denn die „Welt“?
Ist unsere Welt im Wesentlichen räumlich und kann man sie nur verstehen, wenn man sich kreuz und quer an die Abermillionen Punkte auf diesem Planeten begibt? Kommt man von dort zurück und hat dann wirklich mehr verstanden?
Sicherlich ist dies ein Bestandteil von Verstehen: in die Nähe zu kommen von etwas, das man vorher nicht kannte, etwas persönlich erleben zu können. Aber es ist nicht die einzige Methode, zu lernen und zu verstehen.
Man kann still an einer Stelle sitzen und jemandem lauschen, der aus einem Buch vorliest und aus diesen Schilderungen Neues erfahren. Oder man schaut fasziniert eine Film-Dokumentation, die Ecken in anderen Ländern zeigt, in die man selber nie wird reisen können. Und wenn man es weniger altmodisch will: Das Internet ermöglicht uns mittlerweile selbst den Blick auf die unfassbar weit entfernte Mars-Oberfläche. Wollen wir dahin? Ist sie das Ziel unserer zukünftigen Mobilität?
Für manch einen abenteuerlustigen Futuristen vielleicht schon. Aber vielleicht bleiben wir doch erst mal weiter auf dem Boden der Tatsachen, bewegen unseren Kopf und versuchen, uns die Welt so zu erschließen und zu gestalten, dass sie für alle Menschen erreichbar ist und verstanden werden kann.
Manchmal liegt das Gute bekanntlich sehr nah.