Gefühle
Wenn es um Gefühle geht, verdreht manch einer schnell die Augen. Da tun sich romantisch-zuckrige Hollywood-Szenen auf, man sieht rosarote Welten in Bilderbüchern oder es erklingen schmachtende Songs aus der Schlagerecke.
Ernstzunehmen ist das alles nicht.
Wie schade, dass Gefühle in einer durchrationalisierten, digitalisierten und professionalisierten Welt einen so schlechten Stand haben.
Dabei könnten sie einen echten Mehrwert bieten.
Um zu sehen welchen, müssen wir zunächst einmal klären, was Gefühle überhaupt sind bzw. welche es gibt. Gefühle entstehen – und hier soll es nun nicht im Detail wissenschaftlich werden – über die Sinnesorgane. Schnee fühlt sich kalt an, das Quietschen von Kreide auf einer Tafel tut dem Ohr weh und ein Stück Schokolade auf der Zunge schmeckt süß und macht bekanntermaßen glücklich.
Doch die wesentlichen Gefühle, die uns als Menschen ausmachen, entstehen durch die Reaktion aus unserer Wahrnehmung und der Auseinandersetzung mit der uns umgebenden Welt.
Und da beginnt dann auch die allzu oft codierte Qualifizierung von Gefühlen.
Traurigkeit oder ungläubige Betroffenheit, die sich in Tränen ausdrückt, lässt sich verschiedentlich bei Frauen erleben. Wenn ihnen etwas passiert, was sie fassungs- oder hilflos macht, beginnen viele zu weinen. Das erzeugt bei Umstehenden zuweilen Mitleid, Verunsicherung oder auch Genervtheit und führt in der Folge zu der Erkenntnis: Heulsuse, zu weich, zu empfindlich, nicht schussfest. Gefühlig halt.
Geraten Männer in eine Situation, die sie öffentlich unter Druck setzt, die sie irritiert oder in der sie nicht recht weiterwissen, dann reagieren sie in der Regel ebenso emotional. Allerdings macht sich das seltener in Form von Tränen bemerkbar. Stattdessen heben sie die Stimme, werden laut oder schreien sogar und machen sich breit. Insgesamt wirkt das auf Außenstehende oft aggressiv. Das aber wird nicht als „gefühlig“ (ab)qualifiziert, sondern gilt oft genug immer noch als stark, als dominant und bedeutungsvoll. Das ist taff, kein Gefühlsausbruch.
Wie fatal. Gefühle, die Machtgehabe zur Schau stellen, sind akzeptabel, Gefühle, die Verletzlichkeit vermitteln, sind es nicht.
Dabei sind beide Formen des Gefühlsausbruches Zeichen von situativer Schwäche. Man weiß gerade nicht weiter, ist im Mark betroffen, sieht sich mit dem Rücken an der Wand und reagiert nicht sachlich, sondern emotional.
Das ist also erstmal eine einfache Angelegenheit. Schwierig wird es eben nur dann, wenn Gefühle unterschiedlich gewertet werden.
Wenn erkannt würde, dass wir uns alle – egal welchen Alters, Geschlechts oder in welcher Position – in Stress-Situationen emotional verhalten und diese Gefühle lediglich in unterschiedlicher Weise auftreten, dann könnten wir mit uns wahrscheinlich viel entspannter und zugewandter, viel sozialer umgehen.
Denn Gefühle machen uns als Menschen aus. Wir sollten sie feiern und den Umgang mit ihnen mal leise, mal mit lauten Hurras, mit Fröhlichkeit, kleinen Gesten oder einem Pfeifen im Walde üben.
Der künstlich intelligente Chatbot wird vielleicht Humor imitieren können, aber in allen Varianten lachen, bis die Tränen über die Wangen kullern, das wird der nicht hinbekommen.
Da bleiben wir Menschen – mit all unseren liebenswerten Schwächen – ganz vorne. Mit einem lachenden und manchmal auch einem weinenden Auge.