Folgsamkeit
Wie tugendhaft, könnte man meinen, wenn von Folgsamkeit die Rede ist. Das ist ein Wort wie aus einer anderen Zeit, in der man fraglos Regeln befolgte, den Eltern und Pädagogen keine Widerworte gab, sich den Vorgaben der Nachbarschaft beugte. Man leistete Folge oder ergab sich sogar blinder Gefolgschaft.
Auf diesem Mist wächst nichts Gutes. Damit werden nicht die Grundlagen geschaffen für aufmerksames Denken, für soziales Handeln oder für neue Ideen, wie man eine sich verändernde Welt für die Menschheit besser gestalten könnte.
Dennoch hat Folgsamkeit nicht ausgedient. Wenn man sie anders auflöst, sich ihr anders nähert.
Bei aller Eigenständigkeit und bei allem Individualismus, dem also, was sogenannte moderne Gesellschaften heute auszeichnet, wird immer deutlicher erkennbar, dass jede und jeder Einzelne immer schneller an das Ende einer Sackgasse gerät. Wir folgen nur noch unseren eigenen Interessen, unseren eigenen Bedürfnissen und unseren eigenen Wünschen. Folgsamkeit hat in diesem Kontext schnell die Bedeutung vom sprichwörtlichen Weihwasser für den Teufel. Pfui.
Problem ist nur: Diese Art des Lebens zersprengt uns. Und es führt nicht zu mehr Zufriedenheit – von Glück wollen wir schon mal gar nicht reden –, sondern zu mehr Irritation und Dauerstress. Wir wissen nicht mehr, woran wir sind, woran (oder gar an wen) wir uns halten können und was gilt. Fatal.
Also vielleicht doch Folgsamkeit? Manche versuchen ihr Glück damit, Influencern, Gurus, Expertinnen, Therapeuten oder Chefs zu folgen. Die müssen es doch wissen. Die müssen doch den Weg weisen können, dem man dann folgen kann. Oft genug folgt nur eins: die Ernüchterung auf dem Fuße. Bringt auch nicht weiter.
Was also tun?
Wie wäre es damit, dem eigenen Gewissen und guten Ideen zu folgen. Einem Gewissen, das sich aus Wissen um unsere Welt und die Menschheit speist, aus einer sozialen Aufmerksamkeit und einer humanitären Haltung?
Und wie wären denn Ideen, die nicht die schnelle Bedürfnisbefriedigung sichern sollen, sondern die es schaffen, andere zu überzeugen, gemeinsam etwas zum Besseren zu bewegen.
Solchen Ideen könnte man dann folgen. Nicht blind, sondern offenen Auges und mit wachem Gehör und überhaupt mit allen Sinnen – um sie weiterentwickeln zu können, damit sich noch mehr anschließen.
Folgsamkeit könnte dann die soziale Dimension einer menschlichen Evolution offenlegen. Sie könnte eine Eigenschaft sein, die wegführt von dem ewigen Ich-Ich und hin zu der Suche nach Möglichkeiten, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der es eine bereichernde Balance gibt zwischen Ideen ins Feld werfen und Ideen folgen. Und schließlich die Idee in die Realität überführen, sie prüfen und eine neue denken.
So wäre Folgsamkeit eine echt revolutionäre Angelegenheit: da dreht sich was.