Erziehung

„Ach, ist das Kind aber gut erzogen“, heißt es von Erwachsenen, wenn eben jenes Kind ganz leise ist, still vor sich hinspielt, nicht quengelt, nichts herumwirft, mit einem Besteckteil sein Essen einigermaßen sauber zum Mund führt. Wenn es also in eine Ordnung passt, die die Gesellschaft goutiert. Wenn es sich möglichst unauffällig verhält.

Hat schon mal jemand davon gehört, dass dieser Satz lauten würde: „Wie großartig, das Kind hat ja einen eigenen Kopf!“ Schon mal gar nicht, dass ein solcher Satz bewundernd geäußert würde.

Dieses Missverständnis von Erziehung hält bis ins hohe Alter an und führt zu der abwehrenden Reaktion „Man wolle nicht erzogen werden“, wenn eine andere Person eine Idee, ein Argument bringt, das der eigenen Sichtweise nicht entspricht.

Das wird dann nicht als Anregung aufgefasst, sich mit dieser Sichtweise einmal ganz erwachsen auseinanderzusetzen, sondern als Übergriffigkeit, die man sich, seit man das Erziehungsumfeld eines Minderjährigen verlassen hat, nicht gefallen lassen möchte.

Erziehung hat also einen schlechten Ruf. Das ist vielleicht verständlich, weil schon der Begriff nichts mit aktiver Beteiligung eines Teils der Protagonisten zu tun hat. Der Eine steht in der dominanten Rolle des Erziehens, während die Andere in die untergeordnete Rolle des Erzogenwerdens versetzt wurden.

Wer will schon, dass an einem gezogen, herumgezerrt wird, womöglich in eine Richtung, in die man gar nicht will? Sobald man die Entscheidungsmacht hat, sich aus dieser Situation zu befreien, ist kein Halten mehr. Los geht‘s - auf in die Freiheit, in der man sich allen Zwängen und Vorgaben ent-ziehen kann.

Wo allerdings liegt die Grenze zwischen Erziehen und Weiterentwicklung? Zwischen einem Von-oben-herab und einem Orientierung gebenden Angebot, zu dem man sich dann aktiv positionieren kann.

Wenn man den Begriff Erziehung empört als ein „Ein-Wort-Gegenargument“ anbringt, um sich vor jeglicher Auseinandersetzung mit neuen Gegebenheiten, ungelösten Fragen, gesellschaftlichen Herausforderungen und anderen Wirren der Welt zu drücken, dann ist das etwas dünn und eben nicht erwachsen. 

Denn wie soll man diesen Wandel, der um uns herum stattfindet, menschlich, sozial gestalten können, wenn man sich nicht auch für andere Sichtweisen, für neue Themen und auch veränderte Verhaltensweisen öffnet, die uns in eine humane Moderne führen?

Wir brauchen keine althergebrachte Erziehung. Weder Kinder brauchen die, noch Menschen anderer Herkunft, anderer Lebensweise oder sonstwie Andersdenkende.

Was wir allerdings sehr wohl brauchen sind Menschen, die offen sind und bleiben für neue Anregungen. Die sich nicht verschließen vor allem, was in dann abwertender Tonlage (neudeutsch) „woke“, irgendwie „versifft“ oder anders fragwürdig genannt wird.

Dahin kann man sich vielleicht selber - nein, nicht erziehen, aber - entwickeln.

Man kann sich einen solchen Prozess durchaus sehr schön bildlich vorstellen - wie man sich selber aus einem Gewirr von Unsicherheiten herauswickelt. Ganz schön befreiend.

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