Erzählung

Heute werden vielfach „Erzählungen“ eingefordert, wahlweise auch „Narrative“, die die Kraft haben sollen, Menschen zu etwas zu motivieren - zu etwas, das sie möglicherweise erst mal gar nicht wollen. Wenn man den sauren Drops in eine süße Verpackung, die scheußliche Wirklichkeit in schöne Worte kleidet, dann - so die Idee dahinter - kommt man damit durch und erreicht sein Ziel.

Hinter dieser Auffasssung stecken allerdings verschiedene Probleme: Zum einen in der Erzählung selbst. Die - der Name deutet es an - zählt etwas auf. Da wird geschildert, was ist oder - wenn man will - auch, was sein soll. Das kann man selbstverständlich in eine dichterische oder anderweitig charmante Form bringen, aber da nicht Viele ein solches Talent haben, kommt meist Erbsenzählerei dabei raus.

Die wiederum überzeugt nicht.

Das zweite Problem steckt darin, dass immer weniger Menschen Erzählungen Gehör, geschweige denn Glauben schenken. Sie haben keine Zeit, zuzuhören oder sich eine Geschichte durchzulesen. Sie suchen nicht nach dem Text und dem Inhalt, der sie zum Nachdenken bringt oder gar zum Träumen. Und sie sind auch nur selten in der Lage, gute und motivierende Erzählungen von dumpfen Märchen zu unterscheiden.

Diese allerdings - die simplen Fabeln der Vereinfacher - haben oft den größeren Wumms, dröhnen lauter, verschaffen sich Zugang und verbreiten sich wie ein Virus in Windeseile. So schnell kommt man mit der sinnhaften Erzählung, der Schilderung mit verschiedenen Nebensträngen und der Notwendigkeit, bei der Sache zu bleiben, gar nicht hinterher.

Wie für so Vieles, das gut ist bzw. werden soll, braucht auch eine Erzählung Zeit. Zeit, sie zu verfassen und Zeit, sie aufzunehmen und zu verarbeiten.   

Die Erzählung, die heutzutage beschworen wird, um uns aus den diversen Dilemmata herauszuführen, kann weder eine Kurzgeschichte sein, noch ein Krimi mit Unterhaltungswert, kein Drama mit Happy End und erst recht kein Groschenroman, bei dem das Gute und das Böse einfach zu ermitteln sind und ersteres natürlich siegt.

Möglicherweise muss man das Genre völlig neu denken. Dann bräuchten wir keine Erzählung mehr, die nach klassischem Muster von der Entwicklung des Plots über den dramatischen Höhepunkt bis hin zur Auflösung der Geschichte verläuft. Dann bräuchten wir vielmehr einen Fantasy-Film, der uns nicht das Fürchten lehrt, sondern Visionen eröffnet, die wir anstreben wollen. Visionen, die uns überzeugen und emotional packen gleichermaßen, und die wir - in all unserer Unterschiedlichkeit - gemeinsam angehen wollen.

Fantasie zu wecken ist nicht einfach. Eine utopisch-mutige und gelingende Fantasie schon gar nicht. Die klassischen Methoden haben vermutlich weitgehend ausgedient. Schauen wir uns doch mal um, wer uns eine solche Welt öffnen kann. Es könnten die Künstlerinnen und Künstler sein, die uns nicht was vom Pferd erzählen, sondern unsere Welt als gestaltbar vor Augen führen.

Was für eine schöne Vision.

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