Einfühlungsvermögen
Einer der Begriffe dieser Tag heißt „Resilienz“. Klingt fachmännisch. Muss man also lernen. Oder sich entsprechend coachen lassen. Denn die Fähigkeit, der Welt und ihren Wirren Widerstand entgegenzusetzen wird zur Kernkompetenz des modernen Menschen erhoben. Bloß nichts an sich herankommen lassen, alles schön abwehren. Dann geht es einem gut.
Wie stellen wir uns das Ergebnis vor? Eine Welt voller Menschen, die gerüstet und gewappnet sind gegen das Böse um uns herum?
Das klingt, als seien wir mitten in einer kriegerischen Auseinandersetzung. Und so fühlt es sich verbreitet auch an. Ein Krieg, aus dem wir versuchen, uns geduckt zurückzuziehen.
Und wie auf einem Schlachtfeld schotten wir uns ab vor dem Anblick, der sich um uns herum bietet: Chaos, Böses, nur Schreckliches.
Hilft da Widerstand? Kann man das Geschehen einfach von sich weisen? Und ist das die Methode, mit der es uns schnell gut, zumindest besser geht? Oder wäre nicht vielleicht eine ganz andere Kraft stärker und besser geeignet, uns zu helfen?
Die Vorstellungskraft.
Vorstellungskraft nämlich ermöglicht auch in schwierigen Zeiten einen wagemutigen Blick nach vorne. Mit ihr schaffen wir Momente, ja ganze Welten, die zuversichtlich sind und uns gut tun. Statt Resilienz hilft dazu Einfühlungsvermögen. Die gibt der Vorstellungskraft Raum.
Nun gilt Einfühlungsvermögen in unserer Gesellschaft – stark dominiert von den Erwartungen einer effizienten Wirtschaft, an ein allgemeines Funktionieren – verbreitet als sogenannter „soft factor“. Also eher etwas fürs Private, fürs Gemüt. Und hier speziell für Frauen. Die sollen einfühlend sein, zur richtigen Zeit, an der richtigen Stelle. Aber im normalen Leben, das ja nun mal Härten hat, da kommt man mit solch einer Weicheierei nicht weiter.
Ist das die Welt, in der wir leben wollen? Eine Welt ohne die Kreativität des Vorstellungsvermögens und ohne die menschliche Eigenschaft, sich in andere hineinfühlen zu können? Sollten wir uns das abtrainieren, um in einer Welt voller Krisen überhaupt überleben zu können?
Fragen können ja oft aufdecken, wo es schief läuft, wo sich etwas in die völlig falsche Richtung entwickelt. In diesem Fall in eine nüchterne, stachelige, sehr unterkühlte und technisch-perfektionistische Situation hinein, der zunehmend Entscheidendes fehlt, was menschliches Glück ausmacht.
Wir sollten alle viel dafür tun, dass die Fähigkeit, sich in andere hinein zu fühlen, Anteil zu nehmen, sich selber mit seinen Ansprüchen zurückzunehmen und stattdessen auf Menschen zuzugehen, eine ganz neue Bedeutung bekommt. Dass das Wort und die Eigenart Einfühlungsvermögen einen ersten Platz in unserer Gesellschaft erhält. Und dass die Menschen, die besonders einfühlsam sind, die wichtigsten Positionen einnehmen, um unsere Welt besser zu machen. Menschlicher.