Disziplin
Was assoziiert man mit diesem Wort? Vermutlich wird es von Vielen als Unwort aufgefasst. Weil es eine Haltung andeutet, die galt, als Autoritäten noch rabiate Ansagen machen durften. Als individuelle Freiheit noch engen gesellschaftlichen Regeln unterworfen war.
Mit Disziplin wird schnell „Zucht und Ordnung“ und damit eine Vergangenheit gleichgesetzt, in der es oft genug schrecklich zuging. Man hört in dem Begriff nahezu das Rohrstöckchen auf die Finger klatschen.
Allerdings hat Disziplin im Kern eine andere Bedeutung: Fähigkeit, Kompetenz, Fertigkeit – alles Bereiche der Disziplin. Während die einen eine bestimmte Sport-Disziplin beherrschen und auf einzigartige Weise Körbe werfen können, sind Andere in der Lage, aus einem Material Skulpturen zu erschaffen, die Menschen berühren. Wiederum Andere haben die konzentrierte Beharrlichkeit, sich tage-, monate- und sogar jahrelang mit der Erforschung von Lösungen zu beschäftigen. Und die Nächsten bringen Menschen zum Lachen. Kann auch nicht jeder.
Vielleicht wird mithilfe der Gegenüberstellung der beiden Wort-Bedeutungen schon klar: beides hat miteinander zu tun.
Ohne die erste Disziplin – eine genauere Auslegung dieser Variante später – ist die zweite nicht zu erreichen. Eine einzigartige Fähigkeit ist eben nicht nur naturgegebenes Talent, sondern braucht eine Ausarbeitung der Anlagen, um daraus etwas zu machen, das dann auch wirksam werden kann. Für sich und für andere.
Gehen wir noch mal zurück zu der Art von Disziplin, die als strenge Durchsetzung verstanden wird. Hier gibt es Hierarchie. Da ist jemand oben, der Macht ausübt und Ordnung zu Recht verhilft und jemand unten, der ohnmächtig dieses (Un-)Recht ertragen muss. Doch diese Interpretation kommt eben aus der Zeit, in der Disziplin derart rechthaberisch und autoritär missbraucht wurde.
Dafür aber kann das Wort nichts.
Aus dem Lateinischen kommend, wo es Schüler und Unterricht(en) meinte, hat der Begriff in Zeiten von „lifelong learning“ durchaus eine neue und hohe Aktualität. Bewusstes Lernen, erkennen, was Sinn macht, über die Befassung mit Inhalten eine Richtung zu finden – all das geht einher mit Disziplin.
Echtes Lernen bedeutet dabei nicht, nach strikten Vorgaben das zu lernen, was eine Autorität vorsetzt, sondern aus der Welt, aus Erfahrungen, aus erworbenen Kenntnissen eine Befähigung herauszubilden. Jemand der lernt, bringt sich etwas bei, das Teil des Ichs wird.
Und damit diszipliniert sich dieses Ich. Und ja, es schränkt sich durchaus selber ein. Doch Einschränkung bedeutet eben nicht automatisch die Aufgabe von Freiheit und damit Verlust und Verzicht, sondern im Gegenteil – den Gewinn von Möglichkeiten.
Menschen, die in einer Disziplin besonders erfolgreich sind, haben dies verstanden. Sie sind in der Lage, sich selbst zu disziplinieren und daraus Sinn, Freude und Ideen zu generieren.
Vielleicht kann man hier mal Goethe zitieren, der das Wort zwar nicht verwendet, aber ein Bild zeichnet, in dem Disziplin seinen freiheitlichen und kreativen Wert erkennen lässt: „Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen.“
Gut, wenn man sich in dieser Disziplin auskennt.