Deutungshoheit
Es gibt in der deutschen Sprache tatsächlich einige Worte, die einen stutzig machen können. „Deutungshoheit“ ist so ein Wort.
In einer Zeit, in der Vieles nicht mehr klar, schon mal gar nicht eindeutig ist, geht es oft darum, Aussagen, Inhalte, Bilder, Berichte interpretieren, also deuten zu müssen.
Was ist Wahrheit? Was ist wirklich? Was stimmt? Was morgen schon nicht mehr? Was gilt als richtig? Was sind „Fake-News“, Fälschungen, Manipulationen?
Eine Flut an Fragen, die mit unserem Wunsch nach gesicherten Informationen und damit der Möglichkeit, valide Entscheidungen treffen zu können, nicht in Einklang zu bringen sind.
Personen, die einem die Welt erklären, gibt es zwar zuhauf. Eltern, Lehrkräfte, Leute im Politikbetrieb, Ratgeber-Autoren, Vorgesetzte in Unternehmen – sie alle wissen Bescheid. So zumindest die landläufige Meinung.
Männer können Frauen genau sagen, wie es geht. Experten und manch eine Expertin haben die (eine) Antwort auf komplexe Fragen. Journalistinnen und Journalisten versuchen, die tägliche Dosis an wichtigen (?) Informationen ans Publikum zu bringen.
Alle haben eines gemeinsam: Sie haben – entweder qua Job-Profil bzw. Position, aufgrund erworbener Kompetenz oder durch selbst ernannte Bedeutsamkeit – die tatsächliche oder vermeintliche Hoheit, die z.T. undurchschaubaren oder ganz spezifischen Fragestellungen der Welt zu lösen.
Je wirrer die Zustände unseres Globus, desto schwieriger wird es, hier Scharlatane von echten „Hoheiten“ zu unterscheiden. Und je mehr versucht wird, durch autoritäre Stellschrauben eine sozusagen definierte Vorgabe von Wirklichkeit zu erzeugen, desto mehr Widerstand regt sich.
Immer mehr haben wir in den letzten Jahren lernen müssen:
DIE Wahrheit, DIE Eindeutigkeit oder DIE Lösung gibt es nicht. Und die Menschen können sich nicht zurückziehen auf EIN Medium, EINEN Deuter oder EINE Seherin, die einem die Welt erklärt wie in einem schönen Kinderbuch oder Märchen.
Wenn es also immer weniger Fest-Stellungen gibt, stattdessen immer mehr Verunsicherndes, Irritierendes und Vages, dann gilt umso mehr die Herausforderung, sich selber um möglichst vielfältige Informationen zu kümmern – aus verschiedenen Medien, aus Kulturangeboten, aus unüblichen Kontexten, von Menschen, die nicht der eigenen Filterblase zugehören.
Wir müssen lernen, selber Hoheiten zu werden, unsere Welt zu verstehen und zu deuten. Wir müssen uns selbst ein Bild machen von dem, was wahr ist. Wahr im Sinne einer Haltung, die sich orientiert an Werten, an Zielen, an Demokratie, an Menschlichkeit. Nur so erkennt man das, was nicht wahr sein darf. Und erkennt gleichzeitig, dass man die Hoheit hat, Wahrheit im Sinne einer lebenswerten Welt bestmöglich und ethisch zu gestalten.
Wir hören nicht mehr auf Fake-News, sondern werden aktiv:
„Make News!”