Charakterzug

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Ist das schon mal aufgefallen? In der deutschen Sprache ist ziemlich viel Zug drin: Von Anzug bis Zuzug, dazwischen Beutezug, Bummelzug, Durchzug, Entzug, Gummizug, Spielzug oder Umzug. Um nur einige Zug-Worte aufzulisten.
Bei alldem ist darauf zu achten, nicht in Verzug zu geraten.

Unter all diesen zugigen Worten gibt es wiederum ein ganz besonderes. Ein Wort, das zwar sprachlich hart klingt, aber eben auch etwas Außergewöhnliches und Bewundernswertes ausdrücken kann:
Charakterzug.
Ein starker Begriff, der sich markig anhört und entschieden. Gleichzeitig schwingt etwas Nahes, etwas sehr Persönliches mit. Ein feiner Charakterzug zum Beispiel ist eine sehr seltene Erscheinung und gehört fast schon auf die Liste bedrohter Eigenschaften.

Einen Charakter hat man, kann ihn weiterentwickeln; im Charakterzug drückt er sich aus.
Bei etlichen Menschen sucht man Charakter vergeblich, bei anderen findet man ihn erst auf den zweiten Blick. Es handelt sich um eine Eigenschaft, die zunehmend selten geworden zu sein scheint, wenn man sich in dieser lauten, auf der Oberfläche stattfindenden Welt umschaut.
Denn Charakter ist leise, und Charakterzüge passen nicht in die Vorstellung durchoptimierter Images.

Manchmal begegnet man Menschen, die einen beeindrucken, die Bewunderung wecken, vielleicht sogar als Vorbild gelten. Doch wie schnell erweist sich ein so als Charaktermensch empfundener als Irrtum, entpuppt sich die vermeintlich feine Persönlichkeit als Fassade, die der Wirklichkeit nicht standhält.

Charakter, der tatsächlich sichtbar ist - in den Gesichtszügen, in Bezug zu anderen - ist nicht auffällig, nicht bunt. Ein feiner Charakter kann entdeckt werden, ist zufällig da und entfaltet seine Wirkung im ganz Einfachen.

Ein Mensch mit Charakter ist insofern selten ein Vorzeigeheld, keine Figur mit Pose, keiner, der dominant präsent ist. Charakter lässt sich bei Menschen wie auch bei Dingen oft erst auf den zweiten Blick ausmachen. Er lässt sich weniger definieren, sondern vielmehr erfahren, sinnlich erleben.

Zeichen, Makel, Narben, Eigenheiten - alles, was nicht glatt und konform ist, bildet die Züge, die den Charakter ausmachen. Er kommt nicht einfach so in die Welt. Ein Charakter entwickelt sich, braucht Zeit, braucht andere, braucht ein kulturelles Umfeld, das den Charakter mit individuellen Zügen markiert.

Wir brauchen Charaktere, die irritieren, die ungewöhnlich agieren, die merk-würdige Züge haben, die keiner Norm entsprechen. Die müssen zum Zug kommen dürfen.

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