Artikel
Dieser Begriff scheint so simpel zu sein, dass es sich kaum lohnen dürfte, sich mit dem weiter auseinanderzusetzen. Doch halt. So einfach ist es nämlich bei näherer Betrachtung nicht.
Zunächst: Dieser Begriff hat gleich mehrere Bedeutungen. Da ist zum einen der Artikel, den man in einer Zeitschrift oder in einem Fachbuch finden kann und der ein bestimmtes Thema behandelt.
Dann haben wir den Artikel, den wir in einem Geschäft kaufen können, eine Ware, ein Konsumgut. Von Angelschnur bis Zahnpasta.
Und schließlich - und um diesen soll es hier gehen - gibt es den bestimmten Artikel in der Grammatik. Der, die, das. (Den unbestimmten lassen wir hier mal außen vor.)
Die banalste, scheinbar inhaltsleerste Variante soll es also sein. Der bestimmte Artikel legt nämlich gerade eine ziemliche Karriere hin.
Fangen wir aber mal bei einer Grundsatzfrage an: Wann und warum wird bestimmten Worten ein als männlich, weiblich oder sächlich aufgefasster Artikel zugeordnet? Warum heißt es die Amsel, das Huhn, der Schwan? Warum wird das Tier sachlich definiert, die Karriere weiblich oder der Herd männlich? Was also haben der bestimmte Artikel und das Wort, das darüber näher bestimmt wird, miteinander zu tun? Prägt die Zuordnung in der Sprache auch unser Denken?
Auch, wenn dies eine Menge Fragen sind (mit denen sich Linguist:innen sicherlich auch schon auseinandergesetzt haben), hier soll es um eine andere gehen: Warum nämlich bekommt der bestimmte Artikel in einer verallgemeinernden Weise gerade eine solche Bedeutung?
Nehmen wir DIE Politik. Oder DIE Frauen, wahlweise DIE Männer oder auch DIE Jugend. Man könnte weitermachen mit DIE Medien und ganz groß mit DIE Da-Oben. Die oder den Einzelnen gibt es nicht mehr; dazwischen noch weit weniger. Differenzierung fällt einer großen Verallgemeinigungsschleuder zum Opfer, aus der ein Gemisch rauskommt, das irgendwie alles und gleichzeitig nichts mehr ist.
Das Fatale daran: Damit entfällt Verantwortung. Die oder der Einzelne wird nicht mehr sichtbar bzw. höchstens noch als ein Beispiel dafür, dass man mit dem Bashing einer ganzen Gruppierung richtig liegt.
Eine Politikerin wird kritisiert - klar: DIE Politik macht es falsch. Ein Mann pöbelt rum - klar: DIE Männer (weitere Konkretisierung nicht erforderlich). Ein junger Mensch verlangt Aufmerksamkeit für sein Anliegen - klar: DIE Jugend will alles (gerne hinterhergeschoben: ohne dafür etwas zu leisten).
Diese Methode entlastet. Man kann sich der detaillierten Auseinandersetzung mit einem Menschen, mit einem Sachverhalt, erst recht mit dem Kontext sparen und sich ganz schnell ein Bild machen. Schön gerahmt. Man kann sich über DIE DA aufregen und damit auf die Schnelle Entspannung verschaffen.
Doch DIE DA sind leider eine ganze Menge, und damit einher gehen eine Menge Themen, die dummerweise nicht über einen Artikel, den man dem jeweiligen Thema gibt, gelöst werden können.
Es gibt sie nämlich nicht: DIE. Hinter DIE stecken immer viele Einzelne, Individuen, Gruppen, die nicht über einen Kamm zu scheren sind, und die als solche auch nicht in Haft genommen werden können für ein Großes-Ganzes.
Eine Journalistin repräsentiert nicht DIE Medien. Ein Unternehmer spricht nicht für DIE Wirtschaft. Ein Parteimitglied muss nicht geradestehen für DIE Politik. Wenn man dies tut, entzieht man diesen Individuuen nicht nur das Recht und die Möglicheit, eigene Entscheidungen zu treffen und in ihrer Verantwortung zu handeln, man reduziert sie auf ein Phänomen, das keine Eigenverantwortung mehr kennt.
Und hier wird es gefährlich. Denn das ruft diejenigen hervor, die sich hinter solchen Verallgemeinerungen verstecken, die keine Verantwortung mehr für sich anerkennen, sondern diese an die Gruppe oder gar an die Masse abgeben.
Gleichzeitig diskreditieren und diffarmieren genau solche in Massen abgetauchte Personen diejenigen, die sich mit ihrer Individualität, mit ihrer Verantwortungsbereitschaft, mit ihrer aktiven Rolle sichtbar machen und erkennbar sind.
Haarspalterei, könnte man nun sagen. Und damit wird es vielleicht deutlich: Würde man DIE Frisur als missglückt bezeichnen, nur weil ein Haar Spliss hat?
Es ist ein perfides Spiel, das Auseinandersetzung nicht in einem klar definierten Rahmen mit offen identifizierbaren Teilnehmenden und nach klar gefassten Spielregeln ermöglicht, sondern das auf eine alles zersetzende Gegnerschaft ausgerichtet ist. Das führt am Ende zu Feindschaft und zu nur noch schwer lösbaren, verhärteten Konflikten.
Puh, mag man jetzt seufzen. Und das alles ist DER Artikel schuld? Nein, es gibt auch hier einen zuversichtlichen Ausblick. Immerhin bezeichnet er ja auch DIE Liebe. Und die kann gerne für alle gelten. Je mehr davon, desto besser. Grundsätzlich und in all ihren Facetten.