Alter

Dieses Wort hat ungefähr den gleichen Charme wie beispielsweise Zeugnis. Die allermeisten fürchten sich davor oder erwarten zumindest nichts Gutes. Es jagt im Mindesten Respekt ein, oft genug sogar Furcht.

Dabei ist das Wort „Alter“ doch erst einmal ganz unschuldig.

Zum einen kann darunter verstanden werden, dass man etwas zeitlich einordnet. Eine Sache oder ein Leben kann neu sein bzw. gerade begonnen haben, oder es gibt das Objekt bzw. das Subjekt schon länger. Das kann man in der Regel in Zahlen messen, die sich wiederum in Sekunden bis hin zu Jahrhunderten – sehr selten auch Jahrtausenden – angeben lassen.

Kritisch wird es erst, wenn wertende Maßstäbe mit diesen Zahlen verbunden werden. Ein Gemälde aus dem 13. Jahrhundert kann Millionen Dollar wert sein. Da verneigen wir uns voller Ehrfurcht. Ein Auto, das mindestens 30 Jahre alt ist, gilt hierzulande als Oldtimer und gewinnt damit an Wert. Ein Rotwein mit besonderem Jahrgang wird gehütet wie ein Schatz. Zu einem Menschen, der über 100 Jahre alt wird, kommt die Bürgermeisterin und überbringt Blumen.

Anders sieht es aus, wenn es um die Rolle von Menschen geht, die man ihnen innerhalb der Gesellschaft zuschreibt und die mit einem bestimmten Alter assoziiert wird.

Kinder sind anfangs süß – sie müssen oder dürfen sich entwickeln. Je nach Situation erwartet man von ihnen irgendwann Tischmanieren oder dass sie in der Lage sind, Fußball, alternativ Klavier zu üben. Ansonsten aber ist da noch recht viel Offenheit. Jugendliche wiederum werden bereits in enge Erwartungsschubladen gesteckt: Ausbildung oder Studium, musisch oder MINT usw. Junge Erwachsene sollen sich im Job einbringen, familiären Erwartungen entsprechen, hier ihren Beitrag leisten. Danach geht es weiter, es wird immer schwieriger – mit dem Alter.

Ist man über den – nach ökonomischen Spielregeln definierten –  Leistungshöhepunkt hinaus (und der wird irgendwann ab ca. Mitte 40 definiert), dann wird Alter plötzlich zu einer ungemütlichen Angelegenheit.

Da Leistung wiederum weitgehend (trotz des grammatikalischen Geschlechts) männlich konnotiert wird, beginnt das unvorteilhafte Alter für Frauen oft schon früher. Mit zunehmendem Alter werden sie nicht nur uninteressant für die Wirtschaft, als Arbeitskollegin, als Chefin, sie verschwinden irgendwie komplett von der Bildfläche, die heute multi-medial bestimmt wird.

An dieser Stelle bauen wir mal eine kleine Vorstellungsübung ein: Kann sich jemand eine bald 80-jährige Frau als Präsidentin eines der immer noch mächtigsten Länder der Welt vorstellen? Nun?

Im Zusammenhang mit der noch nicht 40-jährigen Regierungschefin eines kleinen skandinavischen Landes, die „altersgemäß“ agiert, ist die Vorstellungskraft der Meisten übrigens genauso begrenzt.

Alter hat ein besonderes Merkmal: Es ist in seinem natürlichen Vorkommen sichtbar. Diese Sichtbarkeit wiederum wird nicht nach übereinstimmenden Kriterien wahrgenommen. Männer, die altern, bekommen das, was man in der Kunst Patina nennen würden. Und sie werden dadurch angeblich noch interessanter und bedeutungsvoll. Frauen, die zu jung sind, nimmt man nicht ernst, altern sie, bekommen sie Falten, was höchstens bei Leinen als chic gilt. Alle anderen Merkmale verschwinden im Licht der Öffentlichkeit.

Während also die Äußerlichkeit bei Männern zu fast jeder Zeit und in fast jeder Form auf ein bedeutsames Inneres verweist, bleibt das ältere Aussehen bei Frauen etwas, das es zu vermeiden, zu vertuschen oder ganz wegzumachen gilt. Am besten, Frauen finden dann gar nicht mehr statt. Oder höchstens als Oma, deren Rolle allerdings ganz eng begrenzt ist.

Alter sollte das sein, was es ist – „das“ Alter und damit neutral. (Auch, wenn Neutralität an anderer Stelle in diesem Blog nicht gut wegkommt.)

Alle – und damit ist gemeint: ALLE –, die das Glück haben, mit innerer Stärke zu leben, sollten etwas aus diesem eigenen Leben machen. Nicht das, was die Gesellschaft vorsieht, ist der Maßstab, sondern der, den man selber setzt.

Und wenn das alle so handhaben, können sich auch alle in ihren individuellen Rollen ständig weiterentwickeln. Ganz wie in einem Impro-Theater. Bühne frei für eine altersvielfältige Gesellschaft.

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