Bildung
Wenn bei diesem Begriff gleich unangenehme Erinnerungen hochkommen – Schule, Strenge, schwere Bücher, schwierige Rechenaufgaben oder alte Geschichtszahlen – dann ist etwas mächtig schief gelaufen.
Gleiches gilt für Lernen, das mit Bildung oft genug in einem Atemzug genannt wird. Entsprechend assoziiert auch der Terminus „Lebenslanges Lernen“ nicht gerade etwas, das erstrebenswert zu sein scheint. Mühsam, oft genug lebensfremd, nicht praktikabel und vielfach ein angeordnetes „Muss“.
Doch wenn man Bildung mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, dann kann dabei etwas herauskommen, das den Stellenwert bekommt, den es in bunter Vorzeit vielleicht auch einmal viel stärker hatte. Ein Humboldt z.B. hat sich – soweit bekannt – nicht auf autoritäre Anweisung, aus Irrsinn oder Geldgier auf Entdeckungsreisen in die Welt gemacht. Er wollte herausfinden, was es so alles gibt und sich daraus ein Urteil bilden. Und es war klar, dass dies nicht ohne Energieaufwand erreichbar sein würde.
In diesem Beitrag ist mit dem Begriff Bildung eben nicht die institutionelle Form von Erziehung und Wissenserwerb im Sinne von Schul-, Aus-, Fort-, Weiterbildung etc. gemeint, für die ein Bildungsministerium zuständig ist. Stattdessen nehmen wir das Wort doch erst einmal als solches und lassen es uns auf der Zunge zergehen: Bild-ung. Das Verb dazu ist bilden.
Wer schon mal ausprobiert hat, was man aus einem Stück Papier bilden kann (ein Schiffchen, eine Blume, einen Frosch) oder wie jemand auf einer Leinwand mit ein paar Strichen eine Figur nachbilden kann oder wie mehrere zusammen einen Chor bilden, der erkennt den gestaltenden Aspekt und den Mehrwert in diesem Wort.
Und wenn man dies erst mal erfasst hat, dann findet man auch die Nähe zu einem anderen schönen Wort in der deutschen Sprache: Gestaltung.
In beiden Fällen – bei Bildung und bei Gestaltung – geht es nicht darum, etwas fertig zu machen, eine feste Form, ein unveränderbares Konstrukt zu etablieren.
Bildung wie Gestaltung ist dauerndes Werden, die geistige und praktische Entwicklung von immer wieder Neuem oder Anderem.
Wenn Hannah Arendt ihren Anspruch an ihr Denken und Tun mit „Ich will verstehen“ formuliert, so steckt darin das Bestreben, sich ständig weiter zu bilden. Es braucht Verstand, um hinter einem Gegenstand, einen Sachverhalt blicken zu können. Und es braucht die Bereitschaft, aus dem, was man sieht, etwas zu bilden. Eine Perspektive, eine Einsicht und vielleicht sogar eine neue Idee.
Bildung drückt sich nicht über die Anzahl oder Art der Bücher aus, die jemand im Regal stehen hat. Bildung ist eine bleibende Offenheit, sich mit der Welt in Verbindung zu setzen, hinter die Oberfläche zu schauen und sich auf das einzulassen, was man noch nicht kennt.
Wahre Bildung findet nur statt, wenn man sich selber schlau macht. Egal ob schulischer Betrieb oder Elite-Uni – beide kann man besuchen und mit Zeugnis, aber dennoch ungebildet, verlassen.
Nur wer verstanden hat, dass es nicht die Lehrer und Professorinnen sind, die ein Produkt verkaufen, das Bildung heißt, sondern dass der Stoff der Bildung auf der Straße, im Wald, auf einer Baustelle, an einem fremden Ort oder wo sonst auch immer liegt, der findet Zugang zu ihr.
Zu einer Bildung, die es ermöglicht, Sinn zu gestalten.