Schublade

Es dürfte kaum einen Haushalt geben, in dem man nicht mindestens eine Schublade findet. Vielleicht ist es sogar das Möbelstück mit der größten Verbreitung. Schubladen finden sich in allen Räumen, darin verstaut werden Socken, Löffel, Krimskrams und alles, was nicht einfach so herumliegen soll.

Eine Schublade also ist Stauraum, der Dinge aus dem Blickfeld schafft.

Wer es besonders ordentlich mag, der beschriftet Schubladen sogar. Findet man darin Briefumschläge, Nägel und Schrauben oder Süssigkeiten? Das kann man manchen Schubladen von außen ansehen.

Darauf wird Bezug genommen, wenn man in der Ableitung von Schubladen-Denken spricht, von der begrenzten Auffassung, alles müsse sich in gekennzeichneten Schubladen sortieren und aufbewahren lassen. Und so, wie Schubladen in allen Haushalten Deutschlands eine breite Verwendung haben, so hat sich auch das entsprechende Denken vielfach durchgesetzt.

Da ist jemand mit einem Piercing in der Nase: Punk. Ein Anderer trägt Krawatte: Spießer. Die Nächste ganz in Schwarz (nun gut, hier gibt es mehrere Schubladen-Etiketten): Gothik-Freak, Werberin, Trauernde u.a. Ein Kind schreit: ungezogen. Ein Mann mit High Heels: nicht normal. Zwei Menschen, die auf der Straße tanzen: ebensowenig.

Das Schubladen- oder (nach Kahnemann), das schnelle Denken, versucht, die Welt auf eine überschaubare Weise zu kategorisieren. Man ist bestrebt, Ordnung zu schaffen,  Übersichtlichkeit zu gewinnen, das Chaos um einen herum und damit sich selbst zu beruhigen.

Das Dumme ist nur: So langsam gehen uns die Schulbaden aus. In den mit „nicht-normal“ etikettierten Kasten werden immer mehr Menschen, Ereignisse und Dinge eingeräumt. Diese Schublade ist mittlerweile übervoll, quillt über und ist selber zum Sammelsurium von Chaos geworden.

Dagegen werden die Label, die eine immergültige Zuschreibung ermöglichen sollten, mittlerweile gar nicht mehr gebraucht. Die Schublade Fräulein ist leer, da, wo Chef draufsteht, modert es so langsam vor sich hin und die Jugendlichen entziehen sich auch immer mehr den Zuordnungen und öffnen ständig neue Rubriken.

Das alles macht es schwer. Denn wo das schnelle gedankliche Zuordnen in Schubladen immer mehr in die Irre läuft, verunsichert es die Meisten, die nun plötzlich anfangen müssen, langsam zu denken. Nicht lineares Vorgehen - wenn A, dann B - führt zur Erkenntnis, sondern ein Achten auf Zusammenhänge, das Hinterfragen, ein reflektierter Umgang mit der Welt. Schubladen werden plötzlich nutzlos, sie helfen nicht mehr zur Einordnung und Übersicht, die Etiketten darauf stimmen mit den Inhalten nicht überein. Anstatt Ordnung bekommt man Chaos.

Was also tun? Am besten wäre es, sich mit dem Chaos zu arrangieren. Sich darauf einzulassen, dass das Leben voller Überraschungen ist, dass es nicht auf das Etikett, sondern auf das ankommt, was in verschiedenen Schubladen so entdeckt werden kann. 

Nimmt man das nicht als Störung, sondern als Inspiration wahr, dürfte dabei Manches zum Vorschein kommen, was mehr Spannung und mehr Entwicklungen eröffnet als das Erwartbare einer korrekt beschrifteten Schublade. Und das kann man doch ruhig mal raus lassen.

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