Rolle
„Spielt doch keine Rolle.“
Rolle rückwärts, Rollenwechsel, Rollenklischees. Oder Nackenrolle, Nebenrolle, Garnrolle, Führungsrolle, Paraderolle, Hechtrolle – vorwärts. Ach, und die Papierrolle…
Damit sind sicherlich noch lange nicht alle Rollen hervorgeholt, die unsere Sprache so hergibt. Mit der Rolle haben wir es.
Warum eigentlich? Weil die so schön rund ist? Keine Ecken hat? Oder weil die so wandlungsfähig erscheint und so Vieles ermöglicht?
Eine wichtige Rolle spielt die Rolle in den darstellenden Künsten. Sie wird besetzt in Schauspiel, Theater, Oper, Ballett oder anderen Inszenierungen. Dann nehmen Menschen eine bestimmte Identität an, die nicht ihrer eigenen entspricht und schlüpfen eben – mal mehr, mal weniger überzeugend – in eine andere Rolle, eine die von der Vorlage, dem Drehbuch, der Regie vorgeschrieben ist. Sie versuchen dann – unterstützt von Verkleidung, von einem Bühnenbild, vom Setting und anderen Rollenspielern – einen Charakter zu vermitteln, der mit bestimmten Assoziationen einhergeht.
Wir kennen in verschiedenen Genres den Mörder, die Verräterin, das Genie, die Schöne oder das Biest und so viele Rollenbilder mehr, die die Geschichtenerzähler alter und neuer Zeit in der Welt beobachtet, erdacht, erfunden oder erschaffen haben. Heute kommen noch Influencer, B-Promis, Experten oder Talkgäste dazu, die das Feld füllen und auch den Alltag zur Bühne machen.
Wer heute keine Rolle spielt, ist nicht da. Man braucht mindestens ein paar Hundert Follower, jede Menge Business-Kontakte, Einladungen, Auftritte, Präsenzen, um in dieser Welt überhaupt stattzufinden. Und damit da nichts durcheinander geht und man auch klar verortbar ist, besetzt man eine Rolle, von der man glaubt, dass die gerade angesagt ist, dass die auf Aufmerksamkeit trifft. Manch einer wechselt diese Rolle so häufig wie andere die sprichwörtliche Unterwäsche. Und damit das begleitende Umfeld gleich mit.
Stellen wir uns kurz vor, unsere Welt sei nicht das Setting einer nie endenden Serie, die kongeniale Autorinnen und Autoren permanent weiterschreiben würden und in der wir uns irgendwie behaupten müssten, um nicht aus der Rolle zu fallen. Tuen wir also mal so, als seien wir selber es, die sich erfinden und entwickeln dürften.
Wüssten wir, wie wir unsere Rolle – dann also unsere eigene Identität – bilden und entfalten könnten? Oder brauchen wir den äußeren gesetzten Rahmen, das Drehbuch, das Skript, das uns Anleitungen für unser Sein gibt?
Gar nicht so einfach, diese Fragen zu beantworten. Zwar ist heute allerorten die Rede von „Authentizität“, auch, wenn kaum einer dieses Wort stolperfrei aussprechen kann. Aber wissen wir, wer wir selber wirklich sind? Und wollen wir es überhaupt wissen? Würde uns diese Erkenntnis nicht möglicherweise an den Rand des Wahnsinns bringen?
Das ist natürlich eine erschreckende Vorstellung. Es sei denn, die steht in einer Rollenbeschreibung und bekäme viele Likes. Dann wäre das schon in Ordnung.