Relevanz
Was heutzutage alles relevant ist: der Zustand der Wirtschaft, die Bundesliga-Ergebnisse, irgendwann die Schulen, weniger die Kultur, mehr schon die verlässliche Fest- und Urlaubsplanung. Und immer häufiger ist die Rede davon, das System sei relevant.
Doch was ist das, das System?
Es kommt drauf an, wen man fragt und welchen Kontext man sieht.
Ein Politiker hat da seine eigene Vorstellung, eine Ärztin eine andere, ein Programmierer die nächste, wieder eine andere die Juristin; der Coach kennt Systeme, die Betriebswirtin auch.
Ist jedoch von „Systemrelevanz“ die Rede, dann geht es wohl um Funktionstüchtigkeit. Und darum, dass die keinesfalls gestört werden darf.
Wenn die Rädchen im Getriebe solcher Systeme – des Staates, der Unternehmen, der Behörden, der Verbände, der Institutionen, der Energieversorger, der Kommunikationstechnik, der Datensammler, einer gesamten Infrastruktur – haken oder gar aussetzen, dann knirscht es nicht nur, dann droht das Ganze zu kollabieren.
Das macht Sorge. Verständlich.
Doch ist das System nicht vielleicht sogar das Problem?
Als systemrelevant wurden zuletzt die Menschen identifiziert, die die Republik und unsere Gesellschaft an sehr neuralgischen Punkten zu einer menschlichen machen: in den Kliniken und Praxen, in den Kindergärten, Seniorenwohnhäusern, im Lebensmittelhandel, bei der Post und im Lieferdienst, bei der Stadtreinigung, bei Bus und Bahn usw. In Bereichen also, in denen viel dafür getan wird, uns allen die vermeintlich kleinen Alltagssorgen und auch große Probleme abzunehmen.
Die wenigsten dieser Menschen verstehen sich allerdings als Teil eines Getriebes. Sie üben Berufe aus, die ganz wesentlich damit zu tun haben, wie unser Leben eine sichere Basis bekommt und behält.
Nicht das System also ist von Bedeutung, es sind die Menschen, die mit ihrem Einsatz, mit ihrer Arbeit, mit ihrer Persönlichkeit dazu beitragen, anderen Menschen im Alltag oder auch in sehr ernsten Situationen zu helfen.
Das mag für manch einen zu pathetisch klingen. Aber vielleicht brauchen wir in dieser Frage tatsächlich mal mehr Pathos, mehr Gefühlsregungen. Nicht nur für einen Abend singend auf dem Balkon, sondern da, wo diese wichtigen Menschen sind – im Alltag eben. Und das heißt an allen Tagen, täglich.
Es sollte klar werden, dass ein System immer nur dazu da sein kann, bei der Organisation von komplexen Sachverhalten zu unterstützen, einen Rahmen zu geben, in dem sich die Menschen bewegen, in dem sie arbeiten und in dem sie das tun können, was wirklich relevant ist: Für andere da zu sein.
Nichts ist schrecklicher als ein System, das sich in Formularen ausdrückt und gesichtslos funktioniert. Und nichts ist belebender als ein Dankeschön und ein freundliches Gesicht.
Höchst relevant. Immer. Und besonders in Zeiten wie diesen.