Radikalität

Umsturz. Alles - und zwar alles - muss weg. Es geht nur auf eine Art und Weise. Fragen dürfen nicht gestellt werden.

Diese Assoziationen hat man schnell beim Begriff radikal. Radikale Menschen sind nicht brav, nicht angepasst, ordnen sich nicht ein, schon mal gar nicht unter. Das Bild, das man von ihnen im Kopf hat, ist wenig sympathisch, eher laut bis aggressiv.

Selbst in der Kosmetik wurden „freie Radikale“ zum Sinnbild all dessen, was zerstört, alt macht, was Jugendlichkeit, Faltenfreiheit und sonstige Schönheitsmerkmale attackiert. 

Keine angenehmen Vorstellungen – denen muss man sich zur Wehr setzen.

Radikalismus, radikales Vorgehen ist also ganz klar der falsche Weg.

Welch ein Trugschluss! Wieso hat dieses schöne Wort eine solche Bedeutungswende genommen? Wo es doch eine so viel bessere Interpretation verdient hätte und die auch im Ursprung trägt.

Da nämlich findet man den Bezug zur Wurzel, der lateinischen „radix“. Ohne solch eine Wurzel kann keine Pflanze wachsen. Reißt man sie aus, stirbt das Ganze. Das wissen auch die Radikalen, ihnen kann also kaum daran gelegen sein, sich die eigenen Lebensgrundlagen zu entziehen.

Diejenigen, die ihr Bestreben eines radikalen Denkens und Handelns ernst nehmen, tun dies also nicht, indem sie etwas vernichten, sondern indem sie den Dingen auf den Grund gehen. Sie wollen wissen, was los ist, warum Fakten und Zustände so sind wie sie sind, was erforderlich ist für ein gelingendes Leben, was wiederum vielleicht doch weg kann.

Radikale schauen sich das Umfeld an, probieren aus, wo etwas wachsen und gedeihen kann, wo die Störfaktoren sind, was möglicherweise die Entwicklungen begünstigt, was sie hemmt - was sich ändern, was bleiben, was neu gemacht werden muss.

Auf der Gegenseite zu diesen derart Radikalen stehen – wir machen es uns mal einfach – die Konservativen. Erst erscheint es ja gut, etwas bewahren zu wollen. Eine gesunde Umwelt, Gesundheit überhaupt, ein stabiles Rechtssystem und andere Errungenschaften der demokratisch verfassten und freiheitlichen Menschheit.

Doch zu Vieles wird mittlerweile bereits viel zu lange über das Haltbarkeitsdatum hinaus konserviert. In den schönen, in den Regalen platzierten Verpackungen gammelt es vor sich hin, eigentlich müsste schon lange mal wieder aufgeräumt werden.

Diese Aufgabe radikal an den Wurzeln zu packen, fällt jedoch den Meisten offenbar immer schwerer. Es hat sich zu viel angesammelt, man weiß kaum mehr, wo man anfangen soll. Und so macht man immer weiter, setzt ein Thema auf das andere auf, während der Stapel darunter bereits ins Wanken und Wackeln gekommen ist.

Auf diesem Fundament allerding kann man keine Zukunft bauen. Dieses Festhalten an dem, was man gewohnt ist, ermöglicht in einer Welt, die jede Menge Herausforderungen und mittlerweile massive Krisen hat, keine Lösungen mehr.

Also muss man mal wieder ran und tiefer graben.

In der Wurzel steckt, wenn man sie nicht mit aggressiven Mitteln des konservativen Luftabschneidens und Zertretens völlig zerstört hat, eine Menge Energie. Selbst, wenn sie lange brach gelegen hat, ist es möglich, dass aus diesen vernachlässigten Grundlagen wieder etwas entstehen kann.

Ob das möglich ist und welche Pracht diesen Wurzeln noch zu entlocken ist, das gilt es nun mal gründlich und flott gleichermaßen zu erkunden.

Wenn wir Glück haben, kann „im Glanze dieses Glückes“ auch wieder manches erblühen. Ein bisschen so, wie man es kennt und gleichzeitig wunderschön neu.

Gehen wir also mal mutig radikal die Wurzeln.

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