Mehrheit

Wer hat hier eigentlich recht? Wenn man sich nicht so ganz sicher ist, schielt man schnell mal auf die Mehrheit. Viele Menschen zusammen genommen können ja nicht falsch liegen. Das weiß man spätestens, seit man von der Schwarmintelligenz gehört hat. 

Befindet man sich allerdings nicht in einer Gruppe - wahlweise Ziel-, Interessens- oder Peer-Group, einem mitgliederreichen Club, einer großen Organisation etc. - und schließt man sich nicht der Auffassung der Meisten an, so steht man ziemlich allein auf weiter Flur. 

Und das ist ja wohl auch richtig so. Auf dem Prinzip Mehrheit ist immerhin Demokratie aufgebaut. Das, was die Mehrheit entscheidet, das bekommt sie auch.

Ähnlich verhält es sich in der Konsumgesellschaft: Das, was von Vielen gekauft oder nachgefragt wird, das gibt es im Angebot. Und auch in Social Media Kanälen funktioniert der Mechanismus: Die Profile, Beiträge und vor allem Bilder, die von Tausenden, ja Millionen von Menschen angeklickt werden, müssen fraglos Bedeutung haben.

An all diesen hohen Zahlenwerten kann man sich doch wohl ausrichten, da liegt man ja wohl kaum daneben.

Mehrheit jedoch ist immer weniger eine demokratische, demographische oder konsumkritische Größe, sondern wird von immer engeren Spezialgruppen reklamiert. Nehmen wir mal ein paar solcher Gruppierungen heraus: Berufstätige, Rentner, Kreative, Eltern, Sport-Fans, Landwirte, Unternehmerinnen - die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Zu diesen Gruppen muss man sich Zugang verschaffen oder bekommt diesen qua Status. Damit gehört man zu jener definierten Mehrheit (selbst wenn die nur eine verhältnismäßig kleine Zahl hat), die schnell Lobbycharakter bekommt, um die Dinge, die zu ihrem Status scheinbar zweifelsfrei dazu gehören, abzusichern.

Stellt jemand diese Auffassung von Mehrheit, von definierter Zugehörigkeit in Frage, hat dieser Jemand selber ein Problem. Offenkundig wird das Prinzip dann nicht verstanden. Wer in die klar etikettierte Schublade nicht passt, der bleibt halt draußen. Ist ja nicht so schwer zu begreifen.

Sollte jemand dennoch daran interessiert sein, ohne die gesetzte Mehrheits-Definition Zugang zu bekommen - und sei es nur zeitweilig - führt das schnell zu Aufregung, zu Verständnislosigkeit und in der Folge zu Abwehr. Einzelne, ohne eine gewisse Mehrheitsberechtigung, sind in diesem System nicht vorgesehen.

Doch von diesen Einzelnen gibt es eine große Zahl in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie haben keine Flut an Followern, werden nicht als Vorbild gesehen, an deren Lebensweisen oder Vorstellungen man das Leben ausrichten wollte, und haben folgerichtig keine Lobby.

Es ist wie bei einem Puzzle. Ein riesiger Haufen an Steck-Steinchen ergibt nur dann ein zusammengehöriges Bild, wenn die Teile ineinanderpassen. Steinchen eines anderen Puzzles fügen sich nicht. Und Teile aus einem ganz anderen Spiel passen ohnehin nirgendwo. Kann man nix machen. Gehört halt nicht dazu.

Es ist an der Zeit, ein neues Spiel zu erfinden. Eines, das sich nicht durch Passgenauigkeit auszeichnet, sondern das aus unterschiedlichen Formen, Farben, Materialien etwas ganz Eigenes ermöglicht. Das nicht voraussetzt, dass sich alles einem System ein-, besser noch unterordnet, sondern ganz neue Perspektiven eröffnet, die allen - egal ob in Gruppen, in Teams, zu zweit oder solo - den gleichen Raum gibt, etwas entstehen zu lassen.

So bekommt Mehrheit eine ganz neue Dimension. Nein, ganz viele Dimensionen. In denen alle einen Platz bekommen, finden, aushandeln. Dann haben wir Vielfalt.

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