Erwartung

Große Dinge werfen ihre Schatten voraus. Voller Erwartung stehen die Kinder mit Schultüte das erste Mal im Klassenzimmer, mit großer Spannung schaut der Formel-1-Rennstall auf die Anzeige mit den 100stel Sekunden und mit angehaltenem Atem warten die Medienvertreter nach der Wahl auf die erste Hochrechnung. Werden die gesteckten Ziele wohl erreicht? Kann man den Vorstellungen, die aus dem jeweiligen Umfeld kommen, gerecht werden?

Denn das ist der Kern der Erwartung: Man will Ergebnisse sehen, und zwar beste. Und das schnell.

Dabei widerspricht dies allein schon dem Wortlaut: Er-wartung. Nicht Er-leistung.
Warten ist mit Zeit verbunden. Das beginnt schon im jüngsten Kindesalter - da wartet man auf den Nikolaus, auf die Ferien, auf den Moment, ab dem man endlich dies oder das darf.

Je älter man wird, desto weniger Zeit gibt es, in der man warten kann. Und auch immer weniger Gelegenheiten. Neues Auto - konfiguriert und bestellt, neues Handy - ausgewählt und angeschafft, die nächste Reise - Urlaub eingereicht und ab zum Flughafen.

Warten ist Zeitverschwendung, ein Ärgernis, eine Zumutung. Warten geht nur in der Form der Erwartung – an andere: der Erwartung an flinkste Lieferung, an beste Qualität zum niedrigsten Preis, an garantierte Elitepartner, an tollste Noten und schönste Jobverhältnisse.

Umgekehrt aber darf man voneinander kaum mehr etwas erwarten. Die Erwartung hat man längst outgesourct.
Wer darauf baut, eine freundliche Ansprache zu bekommen, eine Antwort auf eine Frage (die womöglich nur zwischen den Zeilen steht), eine Idee, die einen weiterbringt oder auch nur ein kleines Dankeschön, der oder die sollte mal halblang machen. Ist man dafür zuständig? Kann das nicht von irgendjemandem professionell erledigt werden? Man hat ja schließlich was zu tun. Wichtigeres, und das ständig.

Vielerorts liest und hört man von Entschleunigung, von Abschalten, Runterkommen, Balance. Doch all das scheint nur den Zweck zu haben, schnell wieder ins beschleunigte Leben zurückkommen zu können. Innehalten, um mal zu schauen, welche ungeäußerte Frage man vielleicht überraschend beantworten könnte - wofür soll das gut sein? Stellt da etwa jemand Erwartungen?

Ja. Die Erwartung an menschlichen Umgang, an das Hören auch von leisen Klängen, an die Wahrnehmung von Freud und Leid, an die Worte, die aus dem Tief holen können, an die Hilfe bei Fragen, die persönlich oder universell sind.

Und was gibt‘s dafür? Echte Aufmerksamkeit und gegenseitige Zuwendung. Das Mindeste, das wir alle von uns erwarten sollten.

Dankeschön!

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