Beschäftigung
Wer nicht beschäftigt ist, ist in diesem Land verdächtig. Man hat einen anständigen Job, einen Beruf, der einen beschäftigt, man ist mit allerlei Aufgaben und Programmpunkten befasst, hat im Mindestens jede Menge um die Ohren, was einen ordentlich auf Trab hält. Das Gegenteil wäre Nichtstun - ganz fatal.
Wenn man allerdings mal hinter die Kulissen bzw. genauer auf die Beschäftigungen schaut, dann fragt man sich: Das soll es wirklich sein, damit verbringt man die Zeit? Freiwillig?
Spätestens nach dem letzten Wort, der Frage nach der Freiwilligkeit, wird es spannend. Ist all das, was da im Kalender und überhaupt so ansteht wirklich das, was man machen will? Und was ist im Gegensatz dazu das, was man grundlegend tun muss?
Innerhalb des (mehr oder weniger) funktionierenden Systems, das wir uns gebaut haben, wird es verbreitet als selbstverständlich angesehen, wenn man über ein paar Dinge verfügt, die den Lebensstil begründen (existenzielle Güter wie Wasser, Nahrung, Grundsicherheit, Unterkunft sind hier mal außen vor gelassen): genügend Geld (wieviel auch immer das jeweils ist), Wohnraum, Mobilität, Freizeit, Ausstattung für diverse Anlässe und Gegebenheiten.
Das sollte im Mindesten dazu angelegt sein, ein - im Englischen würde man sagen - „decent life“ zu führen.
Um das hinzubekommen, muss man in der Regel mehr oder weniger (eher mehr) beschäftigt sein. Sonst kommt das an erster Stelle stehende Geld nicht zusammen. Oder nicht genug davon (s.o.: wieviel auch immer „genug“ ist….).
Wenn man einmal eine gewisse (hohe) Summe beisammen hat, kann man dieses Geld arbeiten lassen. Super.
Doch selbst dann werden die Wenigsten, die davon profitieren könnten, beschäftigungslos. Ganz im Gegenteil. Oft beginnt der ungeregelte Streß dann erst richtig. Was gibt es nicht alles zu tun, wo muss man nicht überall hin, was will nicht alles gemacht, erreicht und gezeigt werden?!
Immerhin steckt in dem Wort „schaffen“ drin, im Deutschen wurde daraus der Imperativ „Schaffe, schaffe, Häusle bauen“ abgeleitet. Da ist keine Ruhe, keine Pause vorgesehen, da muss man eifrig ran, um was vorzeigen zu können.
Das Gegenstück zu Beschäftigung - was ist eigentlich das? Langeweile? Faulheit? Desinteresse? Offenbar auf jeden Fall etwas, das es zu rügen gilt, das keinen Wert hat, nicht hingenommen werden kann.
Soweit haben wir es gebracht, dass das, was man etwas bedeutungsvoller Kontemplation nennen könnte, als degenerierter Zustand abgewertet wird. Beschaulichkeit erfordert Ruhe. Und wer hat die heutzutage schon?
So hetzen überall unfassbar wichtige Menschen massiv aufgeregt durch die Welt und haben kaum Zeit, sich mit denen zu beschäftigen, die um sie herum leben — vielfach außerhalb dieses, sich über solche Beschäftigung definierten Systems. Und sie wundern sich dann über Spaltung, gesellschaftliches Auseinanderdriften, Resignation, die als gesellschaftliche Probleme immer wieder in Sonntagsreden thematisiert werden.
Hier also ein Plädoyer: für weniger Beschäftigung und mehr Befassung. Zeit für Befassung mit Menschen. Und mit den Fragen, die für die Menschheit immer dringender laut werden. Für die nämlich brauchen wir Ideen. Die findet man aber nicht, wenn man ständig mit dem Erhalt des Status Quo beschäftigt ist.
Stop. Hier beginnt die Zeit der Lange-Weile. Dazu an anderer Stelle mehr.