Bescheidenheit
Dieser Begriff scheint einerseits genau in diese Zeit zu passen, andererseits nun aber auch gar nicht. Viele kennen den ziemlich grausam getexteten Reim „Bescheidenheit ist eine Zier - doch weiter kommst Du ohne ihr“. Also doch lieber Raffgier und Opulenz?
So einfach ist die Sache mal wieder nicht.
Ursprünglich hatte Bescheidenheit etwas damit zu tun, was einem zugewiesen, also beschieden wurde. Man hat den Teil abbekommen, der einem per Entscheid zustand. Nicht mehr und nicht weniger. Da wusste man, woran man war.
Heute haben wir es eher mit einer freiwilligen Zurückhaltung zu tun - bloß nicht zeigen, was man hat, nur nicht prassen - oder mit einer Grundhaltung, die auf Sparsamkeit und Zusammenhalten seiner Güter ausgelegt ist. Oder aber es handelt sich einfach um eine Notwendigkeit - es ist nicht viel da, mit dem man locker um sich werfen könnte.
Eine Zier ist Bescheidenheit also nur bei denen, die sich freiwillig beschränken, obwohl sie sich viel mehr leisten könnten.
Wenn wir nun aber mal Bescheidenheit rein als Tugend betrachten und gleichzeitig die Themen, Herausforderungen und Krisen unserer persönlichen und globalen Welt berücksichtigen, dann könnte diese eine ziemlich angemessene Haltung werden.
Wir können darauf warten, bis uns wieder zugeteilt wird von dem, was schwindet: gesunde Luft, vielfältige Nahrung, intakte Natur, Artenreichtum usw. Oder wir können uns die Bescheidenheit auferlegen, weniger zu wollen, uns in unserem Selbstverständnis von allzeitiger Verfügbarkeit aller Güter und allen Komforts neu zu justieren und uns etwas Zurückhaltung zuzumuten.
Damit Super Monday, Spooky Tuesday, Trooper Wednesday, Brillant Thursday, Black Friday und andere konsumgierige Wochentage nicht in einem Desaster enden: The Day After Tomorrow. Da bliebe dann nicht mehr viel übrig. Auch keine Entscheidung darüber, was einem wirklich wichtig ist.
Bescheidenheit klingt nicht nach einer aufregenden Sache. Da steckt massiv viel Langeweile drin. Es sei denn, man findet eine clevere Idee, wie man diese „Zier“ zu einem echten Trend mit Langzeitwirkung machen könnte. Etwas, das alle unbedingt haben wollen. Mit bewunderendem Raunen ginge dann durch die Reihen „Hast Du gesehen, was für eine fantastische Bescheidenheit. Ich muss unbedingt wissen, wo sie die her hat. Die will ich auch!“
Bescheidenheit als erstrebenswerte Eigenschaft, tatsächlich als Zier – das wäre ja mal ein echter Coup. Einer, der möglicherweise Vieles zum guten Leben aller wenden könnte.